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Donnerstag, 15. Mai 2008

Vermutungen und Schönheit

Manche Vermutungen sind richtig. Viele aber auch falsch. Auf emotionalem Feld tragen die falschen Verletzungspotential in sich. Wenn Mathematiker Vermutungen anstellen, so haben sie oft mit Schönheit zu tun. Ob sie richtig sind oder falsch, stellt sich oft erst nach Jahren heraus, gar Jahrhunderten. Das nimmt nichts von deren Schönheit.

Fundstück im Zug

Dienstag, 25. Dezember 2007

Bewahrung der Erinnerungen

Was ich an Vorweihnachten mag, ist überraschende Weihnachtspost (ja, Frau Nahlinse, es gibt auch eine der angenehmen Sorte!)

Dass zum Beispiel ein Wiener Palais eine ungewöhnliche Flasche Wein schickt - irregular vom Weingut Schwarz in Andau, auch bekannt als ''The Butcher" und natürlich eine unverkäufliche Sonderabfüllung mit 14.5 % vol; die Gelegenheit für diesen Wein muss erst kommen.

Oder dass der heurige Weihnachtsbrief des Philosophenonkels eine ganz und gar wundersame kurze Textstelle enthält, die auf neue Spuren führt:

Bewahrung der Erinnerungen

Wenn die Famen ihre Erinnerungen bewahren wollen, pflegen sie sie folgender Gestalt einzubalsamieren: Nachdem sie die Erinnerung haargenau festgehalten haben, hüllen sie sie von Kopf bis Fuß in ein schwarzes Laken, stellen sie aufrecht an die Wand im Zimmer und heften ihr ein Schildchen an, das besagt: "Ausflug nach Trippstrill" oder "Frank Sinatra".
Hingegen lassen die Cronopien, jene unordentlichen und lässigen Wesen, die Erinnerungen lose zwischen fröhlichen Juchzern im Hause herumliegen und bewegen sich in ihrer Mitte, kommt aber eine Erinnerung gelaufen, liebkosen sie sie und sagen zu ihr: "Dass du dir ja nicht weh tust" oder auch: "Gib auf die Stufen acht". Daher sind der Famen Häuser immer aufgeräumt und still wie das Grab, während in denen der Cronopien die Türen schlagen und großer Radau herrscht. Die Nachbarn beklagen sich ständig über die Cronopien, und die Famen nicken dazu vielsagend mit dem Kopfe, gehen heim und sehen nach, ob die Schildchen alle sind, wo sie waren.


[Julio Cortazar]

Heute werden ein Fame und eine Cronopie zum ersten Mal gemeinsam ein Festmahl kochen.

Mittwoch, 28. November 2007

ANH verbeugt sich

Alban Nikolai Herbst hat für die Literaturzeitung Volltext, welche die einzige ist, die ich lese, weshalb ich nicht weiß, ob sie eine wie keine ist oder eine wie die anderen, für Volltext also einen Text verfasst zu Marianne Fritz. Einen vollen Text, einen Text voll Anerkennung, einen Text über Ästhetik, über Schönheit, über Haltung, über Poetik, über Sprache. Er ist eine Verbeugung vor einem Leben, das nach einer eigenen Sprache suchte, ein Plädoyer dafür.

Ja und gerade er, ANH, der ein so überaus mann-haftes Auftreten hat, vermag die "a-patriarchale Sprachordnung" der Marianne Fitz so eingehend darzustellen: weil er eine stets klare und unbestechliche Sicht auf die Dinge - hier: auf Sprache - hat. Matriarchal nennt er ihre Sprache, eine, die nach einem "schweifenden Lesen" verlange - weil die Sekunden zu einem "potentiell unendlichen Raum" gedehnt würden. Ach, allein das macht neugierig.

Es ist eine schöne Verbeugung.

Donnerstag, 13. September 2007

Stürme

Stürme haben gewütet
In diesem einen Herbst
Wie noch nie
In all den Jahren zuvor
Verwüstungen
Auf deiner und meiner Seite
Beide stehn wir
Wie Gerippe
Bloßglegt
Bis auf die Wurzeln
Keine Rätsel
Keine Versprechungen mehr
Einander
Welten
Anders geschaffen und
Unergiebig füreinander
Stehen wir
Jeder auf seinem Hügel


[Galsan Tschinag]
Für M. und S.

Montag, 30. Juli 2007

An den Abenden

... da ich alleine bin, stelle ich mir vor, dass er mir ein Gedicht wie dieses erzählte:

Wenn du dich kleinmädchenklein
An mich schmiegst und zitterst
Entfalte ich meine Landschaften
über dir
Gegen die Nacht
Die zu schwarz und zu schwer
Auf dir lastet
Faltenlos liege
Auch ich selber leichter
Und webe an dem Schmetterling
Der, wenn die Sterne erlöschen
Herüberflattern und sich
Auf deine Lider niederlassen wird


[Galsan Tschinag]

Freitag, 20. Juli 2007

Eigentlichkeit Musik

...dass Musik tatsächlich vom Eigentlichen ablenken kann“ – diesem sichtlich unter dem Eindruck einer Aufführung herausgeworfenen Satz, der umso mehr Befremden auslöst, da er von einem Auch-oder Fast- Musiker geschrieben ist – könnte man entgegnen, dass gerade Wagner mit seinem Gesamtkunstwerkanspruch keins der Teile vor die anderen gestellt hat. Und wenn ich hier eine Analogie aus meinem Alltagsleben nehme: da schafft ein Koch auch eine aus vielen Komponenten zusammengesetzte Einheit, und dann geht der Esser her und zerpflückt wieder in einzelne Aromen und Konsistenzen, anstatt die Wirkung des Gesamten, so wie sie ja vorgesehen war, aufzunehmen [auch ich war darob einmal gerügt worden ;-)].

Mir fiel aber spontan eine ganz andere Entgegnung ein: bei einem vor bald 10 Jahren stattgefundenen Kongress in Alpbach hat ein mongolischer Schamane den wirkungsvollen Satz getan, dass er das Bestreben der Menschen im Westen, mit östlichen Methoden der Meditation weiterzukommen, seltsam und unpassend fände, wo sie doch selbst eine ureigene Meditation hätten – die der Musik. Mit einem solchen Gedankengang wird der Musik eine Eigentlichkeit gegeben, die sie nicht unter und nicht über anderes stellt, aber dennoch auch für sich stehen lässt. Weshalb sie auch nicht ablenken kann.

Dieser Schamane hat auch wunderschöne Liebesgedichte geschrieben, allein schon der Titel des Bandes ist wie ein Gedicht: Nimmer werde ich dich zähmen können. Wunderschön sind sie auch dort, wo sie traurig sind, und so wähle ich heute eines dieser traurigen aus, weil um mich herum ein paar Traurigkeiten aufgebrochen sind, ich widme es jenen, die sie erfahren müssen:

In dir liegen
Tote Jahre
Ich darf darin
Nicht graben
Tote Zeit ist
Anders als
Tote Menschen
Kann aufspringen
Und Bosheiten anrichten.

Montag, 16. Juli 2007

Öffentliche Stehlampe


An was denkst du?
An nichts, wenn es gelingt.


Als ich gestern aus dem abschließenden Dunkel des Theaters ins Münchner Abendlicht trat, dachte ich ungewohnt - nichts. Ich entfloh der Sommerabendbetriebsamkeit der Plätze, folgte meinen Füßen, die stillere Seitenwege suchten, und kam, einem leisen Klang folgend, in einen seltsam entrückt scheinenden Innenhof. Ich war wohl noch ganz im Stück gefangen, nahm, was um mich war, wie die Bilder eines ohne Ton abgespielten Filmes wahr. Zudem hatte sich ein leiser Schwindel meiner bemächtigt, der das Bild des Hofes zu bewegen schien. In dieser multiplen Bewegung ging ich zu den Tischen, sollte ich Platz nehmen?, das Licht der überdimensionalen Stehlampe schien so warm und tröstlich, rot, doch nicht blutrot, nicht wie der Mond der Marie.

stehlampe

Aber ich wollte nicht anhalten, wollte nicht aus der Bewegung fallen, aus der des Körpers wie aus der der Empfindung, nicht Teil des Filmbildes werden, das in dem Augenblick, wo ich es betreten hätte, klirrend zerbrochen wäre in eine nackte Wirklichkeit. Der blinde Cellospieler im Durchgang intonierte zu seltsamer Orgelbegleitung das Ave Maria, ich stürzte zurück in die vom Tage zurückgebliebene Hitze auf den Straßen.

Im Zug las ich dann:


Der Reifezustand des Subjekts bemisst sich nicht mehr an Fähigkeiten der Bedürfnis- und Umweltkontrolle, also insgesamt der Ich-Stärke, sondern an solchen Fähigkeiten der Öffnung für die vielen Seiten der eigenen Person, wie sie hier im Begriff der "Lebendigkeit" festgehalten werden. Wird die Persönlichkeitsentwicklung als ein Vorgang beschrieben, der sich in Schritten der Internalisierung von Interaktionsmustern als allmählicher Aufbau eines intrapsychischen Kommunikationsraumes vollzieht, so liegt eine derartige Neubestimmung des persönlichen Reifezustands auf der Hand: Als reif, als vollständig entwickelt muss dann dasjenige Subjekt gelten, das ein Potenzial an innerer Dialogfähigkeit, an kommunikativer Verflüssigung seiner Selbstbeziehung dadurch zur Entfaltung zu bringen vermag, dass es möglichst vielen Stimmen der unterschiedlichsten Interaktionsbeziehungen in seinem eigenen Inneren Gehör verschafft. Das Ziel der inneren Lebendigkeit, des intrapsychischen Reichtums hat, kurz gesagt, die Stelle eingenommen, die in der älteren Psychoanalyse die Vorstellung der Ich-Stärke innegehalten hatte.

Die innere Lebendigkeit jedoch, diese kommunikative Verflüssigung der Ich-Identität, die Entschränkung der inneren Dialogfähigkeit kann, so wird in weiteren Sätzen deutlich, auf Kosten der Fähigkeit zur Realitätsbewältigung zu gehen, wie sie der ich-starken "männlichen" Persönlichkeit zu eigen ist.

Die Entscheidung zwischen den zwei solcherart vorgestellten kulturellen Entwicklungsmöglichkeiten aber: ist sie uns so bewusst möglich?


Beide Zitate stammen aus dem Begleitheft zum Münchner Woyzeck, das erste von Rainald Goetz, das zweite von Axel Honneth

Mittwoch, 30. Mai 2007

Ungewiss bleiben

Go not too near a House of Rose -
The depredation of a Breeze
Or inundation of a Dew
Alarms its walls away -

Nor try to tie the Butterfly,
Nor climb the bars of Ecstasy,
In insecurity to lie
Is Joy's insuring quality.

Emily Dickinson

Ich mag die Übersetzungen von Werner von Koppenfels nicht unbedingt, aber sie ist manchem vielleicht dennoch hilfreich:

Komm nicht zu nah dem Haus der Rose -
Verwüstung durch eine Brise / Überflutung durch einen Tau / Verscheucht seine Mauern -

Such nicht den Schmetterling zu fesseln, Übersteig nie die Schranken der Ekstase -
Ungewiß bleiben / Ist Schutzbrief der Freude.

Dienstag, 8. Mai 2007

Berührung

Mit gleißenden blicken
anzünden die haut
diesen scheiterhaufen
ganz aus freude

tosendes lodern
im körper gesang

der seele beschriebenes blatt
windet in hitze sich
tanzt

rote schuhe
wünscht sich das herz

[Katja Meilicke]

Montag, 30. April 2007

Täglicher M-Preis

am süßen lila kleefeld vorbei
zu den tannen, den zwei,
mit der bank inmitten,
dort zieht wie ein weicher flötenlaut
den sanften fjord,
blau im schilfgrün ausgeschnitten.
gib mir die hand.
die beiden tannen stehen so still,
ich will dir sagen,
was die stille rings verschweigen will.
gib mir die hand ...
gib mir in deiner hand dein herz.



max dauthendey
Im Papier, auf dem dieses Gedicht gedruckt ist, befand sich Tiroler Rindersaftschinken.


Morgen werd ich zu den Tannen gehen.

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