past tense
um einen tisch. slowfood, präsentation neuer arche-produkte, in ein kleines menü verwoben. ritueller austausch von visitenkarten. ah, costiera amalfitana, und kunstverein, associazione „l‘arte di“; bewahrerin der kunst ihres mannes, in italienischer begleitung. ich lasse mich zurückgleiten in ein leben vor 30 jahren, winter auf procida, erzähle auf italienisch, napoli, c‘era quel amico, galerista - „pepe morra?“ schießt die frage unmittelbar heraus, aber ja, bestätige ich, nein wie nur!, und deshalb auch nitsch, und kubelka, cibulka. die namen purzeln, gleiches umfeld zu ähnlicher zeit, vielleicht einmal ganz gleichzeitig in prinzendorf gewesen, aber meine neapeljahre sind lang vorbei, die regelmäßigen reisen dahin haben aufgehört. von der fondazione weiß ich aber, auch vom museo, aber dass er nun wein macht, der pepe, oben auf san martino, mitten in der stadt, das wusste ich nicht. und jetzt ist die sehnsucht nach diesem neapel wieder da, das ich damals zu meiner stadt gemacht hatte. che coincidenza, sagt sie, davvero.
ConAlma - 2011-03-10 23:18
Eineinhalb Stunden nach dem ersten Erwachen schrecke ich mit diesem Satz aus schwerem Morgenschlaf. Ist er die Beschreibung eines gegenwärtigen Zustandes? Dieser anhaltenden Lähmung, die allgemein verständlich als Ich genieße nach Monaten der permanenten Anspannung meinen Sommer kaschiert wird, dass ich's bald selbst glaube, dass es so sei. Doch wo nur tu ich's? Ich taumle durch Felsenreitschule und Festspielhaus, ein schwachbrüstiger Otello macht mich traurig, eine dumpfe Kasarowa ebenso, der Kiefer-Pavillon, Minikathedrale und gelegentliche Zuflucht, wird von Unverständigen heimgesucht oder ist gar verschlossen, ich habe einen Abend übrig, Vanessa Redgrave monologisch oder doch die Klanglabyrinthe des Salvatore Sciarrino?
...
Das Haus, das mir sieben Jahre lang Heimstatt war, ist zu einem Mutter-Kind-touristischen Objekt verkommen, der schattige Obstbaumgarten mit der tiefen Mooswiese ein riesiger, kiesbestreuter Platz geworden, niemand stößt sich dran, dass die Klettergeräte hier wohl fehlgestellt sind. Auf der Rückseite des Hauses statt Wiese Wasser, gesammelter Regen auf zerfurchtem, durchgrabenem Untergrund, ein bisschen glücklich bin ich hier doch gewesen, als alles noch anders war? Der mit mir diese Jahre geteilt hatte, ist ungewohnt analytisch, zu dunkel sei es gewesen, die Fenster zu klein, alles beengt und beengend, und ja, sage ich, nur in meinen Träumen, diesen wiederkehrenden, ist alles hell und luftig und offen, als sei's so gewesen.
Wie wir da im Traum über vergangene Träume sprechen, der kurze Dialog als luzide Gegenwart genommen wird, wie er, selbst geträumt, andere zu vergangenen Zeitpunkten tatsächlich stattgefundene Träume referenziert - diese Schichtung von Träumen erstaunt mich noch lange nach dem Wachwerden.
ConAlma - 2008-08-10 07:50
Dass mir dieses Wintergeschichte aus längst vergangener Zeit an einem so schwülen Maisommertag wie heute einfällt, mag an dem Manuskript liegen, das ich gerade in Raten lese: die Erzählung einer atemraubenden Liebesgeschichte zwischen zwei Frauen, einer Liebe, die so pur, rein, absichtslos und doch so folgerichtig ist, dass anderes als atemberaubtes Lesen nicht möglich ist. (Danke, liebste H!)
Als ich das erste Mal liebte, Liebe bewusst wahrnahm, war ich siebzehn, und sie brannte wie Feuer. Ich war unvorbereitet, wusste nichts, und doch: damals schon wusste das Herz auch um die Lust und deren Plätze, der Wiederliebende aber wusste viel mehr und war mir ein guter Lehrer. Er war jung, er war schön, er war charmant, er war labil, er war drogensüchtig. Folgte mir nach Wien und rutschte tief in die Welt des weißen, träumeverheißenden Staubes.
Es wurden vier Jahre, schön und traurig und wechselhaft, meine kleinen affairenbedingten Abtrünnigkeiten nahm er als offizielle Begründung für seine Sucht, immer wieder Besserung schwörend, ich wiederum seine Sucht als Grund für meine kurzfristigen Fluchten aus Enttäuschung, weil meine Liebe nicht ausreichte, ihn zu retten. Erst als noch Kokain hinzukam und die Paranoia ins Unendliche gewachsen war und er mit eine lieben alleinerziehenden Gelegenheitsprostituierten nach Südamerika auswandern wollte, begann ich mich mit dem Unabänderlichen auseinanderzusetzen.
Und doch, einen letzten Versuch des Zurückkehrens wollte ich noch unternehmen, es war gerade tiefer Winter. Mit einem kalten Lächeln wies er mich von der Türschwelle (grad zwei Häuser weiter von meinem jetzigen Wohnort): da wollte ich sterben. Darin aber lag das Fatale: ich wollte zwar sterben, mich aber nicht umbringen. Und so stapfte ich, gehüllt in einen alten Pelzmantel vom Flohmarkt, tränenblind den Waldrand entlang, setzte mich auf eine Bank und beschloss, so lange auszuharren, bis ich tot sei.
Es war so friedlich da, schneite ununterbrochen, ich fiel in eine trancehafte Ruhe - doch irgendwann war mir kalt. So stand ich auf, klopfte den Schnee vom Pelz und ging den langen Weg nach Hause, gedemütigt und mit dem zornigen Vorsatz im Herzen, dass mir nie, nie wieder Ähnliches passieren dürfe.
Es gelang mir auch, nie mehr wieder sterben zu wollen; aus all den Schmerzen, die wohl weiterhin kamen und nicht weniger heftig waren als dieser erste, ging ich hervor mit dem wilden Verlangen, weiter und weiter zu lieben und meiner Herzlust treu zu bleiben.
ConAlma - 2007-06-03 16:29