Das analoge Leben.
Ein Begriff, den der digitale Freund letzthin gebraucht hat: das analoge Leben. Weil mich die Sorge um den Geliebten, in dem seit Wochen etwas wütet, das (noch) nicht mit einer eindeutigen Definition belegbar ist, in meinen digitalen Vorhaben blockiert, wende ich mich wie in einer Art Trance Verrichtungen zu, für die ich mir sonst kaum Zeit nähme: neue Lampen für das immer wohnlicher werdende Zimmer, neue Polster für die neue Couch, die die alte der schönen Freundin ist, ein wenig Weihnachtsdekor, aber nicht mehr als je drei Kugeln vor die Flügel der Balkontüre gehängt. Lange aus dem Fenster schauen, morgens, als die Blasmusik Maria Empfängnis weithin hörbar bespielt. Dabei einen doppelten Regenbogen sehen:
Nach C.G. Jung ist er die Brücke zum Jenseits, und da ich keine nordamerikanische Indianerin bin, nehme ich ihn nicht als Unglückssymbol. So wird es ein ruhiger, friedlicher Tag. Der Kindsvater, mit dem ich gestern ausgiebig die neue Weinbar einer von ihm einstmals sehr verehrten Freundin inspiziert habe ("Wie vor 15 Jahren!", sagt ein Freund, als er unser angesichtig wird; er ist der Vater eines der besten Freunde unseres Sohnes und gibt gute Ratschläge von Vater zu Vater) holt zwei Flaschen Wein ab, wir besprechen die gemeinsame Feier am Heiligen Abend. Ich spaziere durch wohlige Föhn- und Sonnenwärme zu meiner Mutter; sie hat endlich ihr Hörgerät und ist erleichtert und zufrieden. Der Geliebte hat mich mittlerweile zum Essen eingeladen; obwohl er sich nur mit Mühe bewegen kann, hat er gedünsteten Zwiebelrostbraten zubereitet. Das Essen erschöpft ihn, ich darf erstmals den Geschirrspüler aus- und wieder einräumen, normalerweise lässt er das nicht zu, es könnte ja Unordnung entstehen dabei. Doch heute ist er zu schwach für Widerstand, liegt vor dem Kaminfeuer, die jüngsten Enkelkinder kommen vom Oberstock auf einen Sprung herunter. Für Freitag haben wir Konzertkarten, Mahlers dritte Symphonie mit Maris Janssons in München; die älteste Enkeltochter wird mit mir fahren, für ihn wäre das eine viel zu große Strapaz. Dann schickt er mich nach Hause, es geht gegen seinen Stolz, dass ich ihn in dieser bemitleidenswerten Situation erlebe; auf Fragen nach seiner psychischen Befindlichkeit mag er mir keine Antwort geben. Und so spaziere ich durch die frühe Nacht, es ist ruhig im Villenviertel, der Himmel ist sternenklar, und ein Bub, der mir an einer unbeleuchteten Stelle begegnet, grüßt vorsichtshalber, ich könnte ja eine Bekannte sein. Auch auf dem Adventmarkt ist es relativ ruhig, eine Band von vier jungen Leuten - zwei Burschen an Gitarre und Keybord, zwei Mädchen, die singen - interpretieren recht brav ein Hallelujah. Doch als sie White Christmas anstimmen, wünsche ich mir Bing Crosby und die Weihnachten meiner Jugend, als wir alte Filme sahen und tagelang an komplizierten Puzzles arbeiteten. Damals gab es kein anderes Leben.
Am liebsten aber säße ich jetzt beim Geliebten und hörte mit ihm Leonard Cohen.
Nach C.G. Jung ist er die Brücke zum Jenseits, und da ich keine nordamerikanische Indianerin bin, nehme ich ihn nicht als Unglückssymbol. So wird es ein ruhiger, friedlicher Tag. Der Kindsvater, mit dem ich gestern ausgiebig die neue Weinbar einer von ihm einstmals sehr verehrten Freundin inspiziert habe ("Wie vor 15 Jahren!", sagt ein Freund, als er unser angesichtig wird; er ist der Vater eines der besten Freunde unseres Sohnes und gibt gute Ratschläge von Vater zu Vater) holt zwei Flaschen Wein ab, wir besprechen die gemeinsame Feier am Heiligen Abend. Ich spaziere durch wohlige Föhn- und Sonnenwärme zu meiner Mutter; sie hat endlich ihr Hörgerät und ist erleichtert und zufrieden. Der Geliebte hat mich mittlerweile zum Essen eingeladen; obwohl er sich nur mit Mühe bewegen kann, hat er gedünsteten Zwiebelrostbraten zubereitet. Das Essen erschöpft ihn, ich darf erstmals den Geschirrspüler aus- und wieder einräumen, normalerweise lässt er das nicht zu, es könnte ja Unordnung entstehen dabei. Doch heute ist er zu schwach für Widerstand, liegt vor dem Kaminfeuer, die jüngsten Enkelkinder kommen vom Oberstock auf einen Sprung herunter. Für Freitag haben wir Konzertkarten, Mahlers dritte Symphonie mit Maris Janssons in München; die älteste Enkeltochter wird mit mir fahren, für ihn wäre das eine viel zu große Strapaz. Dann schickt er mich nach Hause, es geht gegen seinen Stolz, dass ich ihn in dieser bemitleidenswerten Situation erlebe; auf Fragen nach seiner psychischen Befindlichkeit mag er mir keine Antwort geben. Und so spaziere ich durch die frühe Nacht, es ist ruhig im Villenviertel, der Himmel ist sternenklar, und ein Bub, der mir an einer unbeleuchteten Stelle begegnet, grüßt vorsichtshalber, ich könnte ja eine Bekannte sein. Auch auf dem Adventmarkt ist es relativ ruhig, eine Band von vier jungen Leuten - zwei Burschen an Gitarre und Keybord, zwei Mädchen, die singen - interpretieren recht brav ein Hallelujah. Doch als sie White Christmas anstimmen, wünsche ich mir Bing Crosby und die Weihnachten meiner Jugend, als wir alte Filme sahen und tagelang an komplizierten Puzzles arbeiteten. Damals gab es kein anderes Leben.
Am liebsten aber säße ich jetzt beim Geliebten und hörte mit ihm Leonard Cohen.
ConAlma - 2010-12-08 19:16