der süden in mir
standardlektüre auf dem balkon, noch im schatten. da floss es wie von selbst.
der süden in mir
als ich das erste mal in den süden kam, war ich vierzehn und schämte mich für meine eltern. den vater fand ich unerträglich in seinem exhibitionismus am nacktbadestrand, die mutter peinlich in ihrem bemühen, welttauglich zu sein mit extra genähten neuen kleidern fürs abendessen im hotel am jugoslawischen adriastrand. ich versteckte mich hinter meiner großen sonnenbrille und bemühte mich, die selbst genähten hot pants, die viel zu lang waren, um eine solche bezeichnung überhaupt zu verdienen, mit angemessener coolness zu tragen, auch wenn cool damals noch keine gängige bezeichnung für jugendbefindlichkeiten war. als ich das nächste mal in den süden kam, war ich bereits sehr viel älter, dreiundzwanzig. was dazwischen gewesen war, zählte noch nicht so recht, venedig nicht, weil es kühl und nebelig war und ohnehin zu nah an wien und voll von peinlichen österreichern, und die ausflüge per autostop, mit studienkolleginnen recht waghalsig in lkws, irgendwo im ligurischen zu einer verrückten jugendherberge mit coedukativen schlafsälen, die deuteten erst an, was da möglich sei, im süden.
dann aber: allein, ohne die sprache zu können, sommerjob am campingplatz. römer und napoletaner zu gleichen teilen, zwei sprachen, und eine dritte, das abbruzzesische, dank der campingbesitzerfamilie gleich noch dazu, mein hartes ,attentzione‘ am lautsprecher verlor ich dennoch nicht, obwohl ich mich der weichheit des napoletanischen und auch dem weichen leib eines napoletanischen fotografen gern hingab. am meisten aber genoss ich es, für mich zu sein, wer auch immer um mich war, ich verlor mich ans licht und den sand und den wind und den klang, der in allem war, in den felsen und dem gestrüpp, auch in den bombe, die wir um vier uhr morgens in der pastificeria holten, weil schlafen gehen viel zu verschwenderisch gewesen wäre. danach wollte ich nicht mehr zurück, zog für zwei wochen nach neapel, wo ich mich so selbstverständlich bewegte, als wär ich ein teil davon, und setzte mit dem schiff über nach lipari, ließ mich über sizilien wieder an die stiefelspitze schaukeln, umrundete apulien, ließ mich weitere zwei wochen im schoß der campingfamilie in lanciano nieder, wechselte nach rom über, wo ich von einem markt zum anderen zog, und als ich schon bereit war, mich dauerhaft niederzulassen, dachte ich an die mutter daheim und dass ich ihr eine erklärung schuldete, sah mit schrecken den schnee auf dem brenner und verfiel, mich daheim selbst zur gefangenen machend, in eine anhaltende melancholie. doch es kam wieder ein sommer, und von da an wurde der süden zur gewohnheit, neapel zur auserkorenen, ich nahm den neuen geliebten mit für drei wintermonate und später die erstgeborene, und als ich einmal einem jungen bauern im monferrato einen besuch abstattete, dachten die freunde dort, ich käme aus dem süden. da hatte ich diesen schon längst in mir, und auch als die reisen seltener wurden und irgendwann aufhörten, weil ich nicht nur mehr die felsen sah und den sand und das gestrüpp und das licht, sondern auch die politischen veränderungen und die grausame, charakterlose, amerikanisierte oberfläche des alltagslebens, waren sie nicht mehr wichtig. luft und liebe und der augenblick, in erster linie lebte ich, egal wo, und wenn ich wieder, so wie vor langer langer zeit schon, als ich den norden in jugendlicher schwärmerei zu meinem mythos gemacht hatte, in den norden fahre, weil es dort ist wie in den bergen, nur am meer, und mich diese wundervolle ruhe überkommt wie droben in den bergen auch, dann weiß ich, dass ich das nur ertrage, weil der süden in mir ist und die melancholie keine chance hat.
der süden in mir
als ich das erste mal in den süden kam, war ich vierzehn und schämte mich für meine eltern. den vater fand ich unerträglich in seinem exhibitionismus am nacktbadestrand, die mutter peinlich in ihrem bemühen, welttauglich zu sein mit extra genähten neuen kleidern fürs abendessen im hotel am jugoslawischen adriastrand. ich versteckte mich hinter meiner großen sonnenbrille und bemühte mich, die selbst genähten hot pants, die viel zu lang waren, um eine solche bezeichnung überhaupt zu verdienen, mit angemessener coolness zu tragen, auch wenn cool damals noch keine gängige bezeichnung für jugendbefindlichkeiten war. als ich das nächste mal in den süden kam, war ich bereits sehr viel älter, dreiundzwanzig. was dazwischen gewesen war, zählte noch nicht so recht, venedig nicht, weil es kühl und nebelig war und ohnehin zu nah an wien und voll von peinlichen österreichern, und die ausflüge per autostop, mit studienkolleginnen recht waghalsig in lkws, irgendwo im ligurischen zu einer verrückten jugendherberge mit coedukativen schlafsälen, die deuteten erst an, was da möglich sei, im süden.
dann aber: allein, ohne die sprache zu können, sommerjob am campingplatz. römer und napoletaner zu gleichen teilen, zwei sprachen, und eine dritte, das abbruzzesische, dank der campingbesitzerfamilie gleich noch dazu, mein hartes ,attentzione‘ am lautsprecher verlor ich dennoch nicht, obwohl ich mich der weichheit des napoletanischen und auch dem weichen leib eines napoletanischen fotografen gern hingab. am meisten aber genoss ich es, für mich zu sein, wer auch immer um mich war, ich verlor mich ans licht und den sand und den wind und den klang, der in allem war, in den felsen und dem gestrüpp, auch in den bombe, die wir um vier uhr morgens in der pastificeria holten, weil schlafen gehen viel zu verschwenderisch gewesen wäre. danach wollte ich nicht mehr zurück, zog für zwei wochen nach neapel, wo ich mich so selbstverständlich bewegte, als wär ich ein teil davon, und setzte mit dem schiff über nach lipari, ließ mich über sizilien wieder an die stiefelspitze schaukeln, umrundete apulien, ließ mich weitere zwei wochen im schoß der campingfamilie in lanciano nieder, wechselte nach rom über, wo ich von einem markt zum anderen zog, und als ich schon bereit war, mich dauerhaft niederzulassen, dachte ich an die mutter daheim und dass ich ihr eine erklärung schuldete, sah mit schrecken den schnee auf dem brenner und verfiel, mich daheim selbst zur gefangenen machend, in eine anhaltende melancholie. doch es kam wieder ein sommer, und von da an wurde der süden zur gewohnheit, neapel zur auserkorenen, ich nahm den neuen geliebten mit für drei wintermonate und später die erstgeborene, und als ich einmal einem jungen bauern im monferrato einen besuch abstattete, dachten die freunde dort, ich käme aus dem süden. da hatte ich diesen schon längst in mir, und auch als die reisen seltener wurden und irgendwann aufhörten, weil ich nicht nur mehr die felsen sah und den sand und das gestrüpp und das licht, sondern auch die politischen veränderungen und die grausame, charakterlose, amerikanisierte oberfläche des alltagslebens, waren sie nicht mehr wichtig. luft und liebe und der augenblick, in erster linie lebte ich, egal wo, und wenn ich wieder, so wie vor langer langer zeit schon, als ich den norden in jugendlicher schwärmerei zu meinem mythos gemacht hatte, in den norden fahre, weil es dort ist wie in den bergen, nur am meer, und mich diese wundervolle ruhe überkommt wie droben in den bergen auch, dann weiß ich, dass ich das nur ertrage, weil der süden in mir ist und die melancholie keine chance hat.
ConAlma - 2011-07-10 14:35