Eine Mutter.

Haben Sie meine Telefonnummer? fragt sie, als ich mich selbst zum Aufbruch drängte, doch dann fiel noch ein Stichwort, und es zog wieder lange Sätze nach sich . Ich hatte ihr Gesicht schon gesehen, als es unter den tief heruntergezogenen Jalousien hinausspähte, auf mich, die ich vor dem Gartentor wartete. Doch es war die Tochter, die innige Freundin, die mir öffnete, mich empfing im überraschend kleinen Haus, in dem das Leben stehengeblieben war, vielleicht auch nie wirklich stattgefunden hat.

Ich kannte vieles aus Erzählungen, und ich verstand nun all die Kindheitserinnerungen, in denen von Verstecken und Winkeln die Rede war. All diese Winkel und Verstecke sind auch in den Seelen dieser beiden Frauen, die da so symbiotisch miteinander sein müssen, dachte ich, als wir, die Freundin und ich, noch alleine beim Tee im abgedunkelten Wohnzimmer saßen, kommst du, Mama? rief die Tochter mit lauter Stimme hinauf, drängend, das Geschenk der ungestörten Minuten nicht annehmend, eine merkwürdige Nervosität lag im Raum. Und dann erschien sie, die kleine alte Dame mit nach außen gewandter Haltung, Tapferkeit und Stolz waren in ihre Bewegungen geschrieben. Von der körperlichen Beeinträchtigung war nur mit genauem Blick etwas zu sehen, sosehr konnte sie diese mit ihrem bestimmten Auftreten kaschieren, in die Rolle der Königin ist sie geschlüpft für die Dauer dieses Besuches, und ich weiß um die Besonderheit und Seltenheit dieser Gnade.

Wenn ich von der vibrierenden Unsicherheit der Tochter absah, die sich in forcierten Gesprächsbeiträgen äußerte, war es eine vergnügliche Unterhaltung mit pointierten Sätzen, die eine erstaunliche, scharf formulierte Distanz zu den Abgründen eines Lebens, von denen ich gleichwohl wusste, suggerierten. Ich blickte in ein faszinierendes Gesicht mit jungem Ausdruck, es trägt keine eindeutigen Spuren des Alters. Sie weiß um meine Liebschaft mit einem Mann, der ihr nur wenige Schritte im Alter voraus ist; was, wenn sie ebenso einen Begleiter hätte, der ihr mit seiner relativen Jugend etwas von dem nie Gehabten, Sehnsuchtsbesetzten geben könnte? Nähme ihr dies etwas von der Last die sie trägt und andere mit ihr? Nein, vermute ich, denn ich kann es in meiner Nähe sehen, dass nichts aufzuheben ist, was nicht von selbst aufgehoben wird.

Und so ist es ein schmaler Grat, auf dem sich die Sätze bewegen, sich diese Frau bewegt, die nur für kurze, öffentliche Augenblicke in sich Halt findet und Haltung wahrt, und ich weiß vom ständigen Fallen, das innerhalb des undurchdringlichen Beziehungsgeflechtes auch die darin Verstrickten mitreißt.

Nein, ich habe ihre Telefonnummer nicht; die abschließende Umarmung dieser so Zurückgezogenen aber empfand ich als große Ehre.


Für K.
steppenhund - 2009-12-26 11:16

... dass nichts aufzuheben ist, was nicht von selbst aufgehoben wird

Ein sehr, sehr nachhaltiger Satz. Wieso braucht man im Leben so lange, um ihn zu begreifen? Und wie ergreift es einen, wenn man beobachten muss, dass er sich manchen Menschen nie erschließen wird?

ConAlma - 2009-12-26 12:59

Ja, es ergreift. Schmerzvoll, wenn's nahe Menschen sind.
katiza - 2009-12-27 21:23

Liebe, du bist dem Kind begegnet in all seiner Angst in dem Haus, in dem es eigentlich keine Verstecke gibt. Ganz im Gegenteil: das Knarren der alten Böden und Treppen verrät jeden Schritt, das geschulte Auge der alten Dame, sieht an leicht verstellten Türen und Falten im Teppich, wo sich wer bewegt hat, gar eine Schublade geöffnet, ein Buch aus dem Regal genommen.

Du schilderst sie sehr treffend. Danke.

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