Sonntag, 12. März 2006

Trinken um des Weines willen

Ich war eingeladen. Ich war unhöflich und versuchte höflich zu bleiben. Ich verweigerte den Prosecco. Bier trinke ich nur, wenn ich nach einer Wanderung verschwitzt in der Almwirtschaft ankomme. Obwohl das sehr malzige Maxlrainer Schlossweisse ein interessantes Exemplar dieser Getränkespzies gewesen wäre.

Ich aber bat um Wein. Weißwein. Die hochgezogene Augenbraue meiner Freundin deutete bereits auf die angenommene Kompliziertheit meines Getränkewunsches in dieser Partysituation. Der Kühlschrank war nämlich mit Bier und Prosecco vollgestopft, das einzige greifbare Flascherl Weißwein war ein schlichter, um nicht zu sagen mäßiger Veltliner. Ich blieb also höflich und akzeptierte den Wein.

Doch bereits nach wenigen Schluckproben war mir klar, dass ich diesen Wein nicht mal um des Trinkens willen zu mir nehmen könnte. Nach höflichen zwei Gläsern, die zu meiner Müdigkeit noch Traurigkeit hinzugesellten, wagte ich eine weitere Unhöflichkeit und verlangte nach einem "ordentlichen" Wein, diesmal in rot, weil die Suche da hoffentlich einfacher sein würde.

Mit einem - gespielten? - indignierten 'jetzt nehm ich einen, den du selbst mitgebracht hast, der muss ja dann passen' servierte mir die Freundin das Glas dunklen, schweren Weines. Der Wein war gut, ich hatte keine Ahnung, was es war, Röstaromen, feine Würzigkeit, schwarze Johannisbeere - ein barriquelastiger Merlot aus Navarra, wie sich herausstellte, den ich selbst noch nicht getrunken hatte.

Und doch konnte ich mich nicht daran erfreuen. Nicht der richtige Wein zum Dahintrinken, aber das war es nicht. Bin ich so ein Snob, dass ich mit Getränken um des Trinken willens nichts anfangen kann und will? Kennt mich die Freundin so wenig, dass sie nicht weiß, dass ich Wein um des Weines willen trinke?

Letzteres werde ich wohl mit einem Besuch samt einer Flasche trinkwerten Weines herauszufinden versuchen ....

"Le Beisl n'existe pas"

Dieser von Jacques Lacan am Wiener Flughafen im Beisein von Franz Schuh getane Ausruf kam mir dieser Tage in Erinnerung, als ich, in Wien weilend, ein Beisl-Erlebnis der unerwarteten Art hatte.

Die Freundin hatte als Gesprächsort das neue MAK-Restaurant auserkoren, wo Helmut Österreicher die Wiener Küche zum Mittelpunkt der Inszenierung machen will. "Inszenierung" verwende ich bewusst, weil ein solcher Ort niemals auch nur ansatzweise als Wirtshaus durchgehen kann, dazu ist er zu sehr Kulisse. Eine angenehme, gewiss, wie zuvor schon; der Platz im neuen, grün-poppigen Wintergarten ist auch an einem kühlen, windigen Märzschneetag warm und hell.

Die Erkenntnis des Tages: Das Beisl existiert: auf den Tellern. Die bewusste Verwendung von aus den Beisln schon längst entschwundenen Menütellern verliert ungewollt ihren inszenatorischen Charakter, wenn darauf nichts anderes zu liegen kommt als - schlichte Beislküche. Keine Neuinterpretation (war auch nicht angekündigt), kein höchstes Niveau (war angekündigt), sondern geradezu unverschämte Einfachheit. Unverschämt? fragen Sie, und ja, sage ich, denn der Mut, solche Speisen ohne Biss, Ausdruck, Geschmack dem erwartungsvollen Publikum ohne Scham zu servieren, kann wohlwollend nur mit unglaublicher Chuzpe beschrieben werden.

Die Linsen mit Speck und Spiegelei, lieblos auf den Teller geschöpft, erinnerten frappant an ähnliche Gerichte, die ich vor 25 Jahren bei zwei alten Damen in der Mollardgasse zu mir zu nehmen pflegte, deren Wirtshaus den großen Vorteil hatte, unsäglich billig zu sein. Das Paprikahendl war zäh, die Nockerl wässrig, der Kalbsnierenbraten bestand zur Hälfte aus Nierenfett, der Gemüsereis war aufgesprungen, also weit weg von jeglicher Körnigkeit, und absolut geschmacksneutral. Selbst das schon vielgepriesene Mayonnaiseei ließ trotz netter Gemüse drumherum den eigentlichen inventionalen Kick vermissen.

Systemküche war auch angekündigt worden im Voreröffnungspressegetümmel, und angesichts der beliebig auf den Tellern gelandeten Gerichte sah man geradezu vor sich, wie die Küchenmannschaft Fertigpackungen aufreißt und aufs Geschirr stülpt.

Ja, ich bin böse, spitzfindig, ich weiß. Ich bin verärgert. Ich bin verärgert, weil ich mich meiner Erwartungshaltung hingegeben habe. Ich bin verärgert, weil ich das, was ich gegessen habe, Helmut Österreicher nicht zuordnen kann und will. Und es drängt sich geradezu die Frage auf: gibt es in der Gastronomie Paarungen, bei denen das Zusammenspiel mehr ist als nur die Summe zweier Einzelteile? Wo bei Auflösung einer solchen Paarung beide Teile nur verlieren können?


Österreicher im MAK

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