Ins Klatschen fallen

Wenn ihr mir mit dem Klatschen ins Dirigieren fallt, dann falle ich euch mit meinem Dirigieren in euer Klatschen, scheint sich Christian Thielemann gedacht zu haben, als er gestern nach der Pause aufs Pult sprang und noch in den Auftrittsapplaus hinein zu dirigieren begann. Die Gestik dieses großgewachsenen Mannes ist eigenwillig, er arbeitet fast nur aus dem Ellenbogen und fabriziert doch elegante, fließende Bewegungen aus dem Handgelenk heraus, immer den Taktstock in der Hand. In den Schultern aber bleibt er seltsam steif, stattdessen nimmt er, wenn mehr Eindringlichkeit und Kraft gefordert sind, gleich den ganzen Oberkörper, beugt ihn vor und zurück, je fordernder, desto tiefer.
Die Arme meist nah am Körper, dieses aufrechte Beugen und gleichzeitig das weiche Kreisen im Handgelenk, ein merkwürdiger Kontrast, Liegestütz mit an den Körper gelegten Oberarmen, schießt mir ein unpassendes Bild vor Augen.

Im zweiten Satz der Siebten Symphonie Beethovens geht er zunächst tief in die Knie, das ist weit bei einem so langen Menschen wie Thielemann sehr weit, und die Münchner Philharmoniker folgen ihm da hinunter, ganz zart beginnt das Schreiten des Ostinato, ein stilisierter Trauermarsch, ruft Ergriffenheit hervor, wird nach und nach drängender, bevor der Satz in einem unvermittelten Bruch, wenn aus der Bratsche plötzlich ein zweites Motiv hart und klar und fast schrill hervortritt, in ein Tänzeln übergeht.
(Thielemanns Interpretation ist auf youtube leider nicht verfügbar) 


Ach und der dritte Satz (ist oder war der Beginn dieses Satzes nicht auch eine Signation? Und immer wieder faszinierend darin diese eine Stelle, wo der Klang von links nach rechts eilt und wieder zurück, eine filigrane Räumlichkeit entsteht) - da gerät Thielemann, vielleicht beflügelt durch das Musizieren mit Hélène Grimaud - in eine geradezu ausgelassene Laune, hüpft plötzlich auf einem Bein und nimmt das Orchester so mit, dass sie wie aus einem Guss werden. Im furios begonnenen vierten Satz sieht man nur mehr Stäbe hoch, Bögen wie Dirigentenstab  gegen das Schwarz der Anzüge leuchtend und Bewegung allenthalben, wie eine kollektive Turnübung. Der nahende Abschied von München intensiviert, so möchte man vermuten, das gemeinsame Tun, der Applaus fiel prompt in den letzten Ton hinein.

Vor der Pause aber Beethovens Fünftes Klavierkonzert, ein wohl bekanntes, viel gehörtes Stück. Mme Grimaud erscheint in schwarzem Anzug, mit hohem Kragen und weiten Hosenbeinen, keine Primadonna, vielmehr unscheinbares Mädel, das erst mit dem Klavierspiel ein Leuchten bekommt. Auf das muss man freilich etwas warten, der Anfang gerät merkwürdig metallisch-hallend, wie gefangen scheint sie in den endlosen Trillern. Aber nach und nach entsteht ein übereinstimmendes Zusammenspiel, und man weiß nicht, folgt sie (Hélène) ihm, oder er (Thielemann) ihr. Ovationen der Sympathie für die Pianistin, und der obligate Blumenstrauß - warum nur müssen die in Konzerten überreichten Sträuße von solcher Hässlichkeit sein?
Ganz am Beginn des Konzertabends standen die Haydn-Variationen von Johannes Brahms, ein vergnügliches Werk in 10 kurzen Sätzen, die so von musikalischem Witz durchzogen sind, dass man meinen könnte, die heitere Landschaft um den Starnberger See, an dem dieses Stück entstanden ist, und der den Bayern zu eigene Humor hätten da hinein gewirkt. Es lag aber auch am Dirigat des Christian Thielemann, dies alles zuvörderst zu bringen. Er wird mir tatsächlich fehlen in München.

Konzert vom 11.03.2011 in der Münchner Philharmonie
Programm:
Johannes Brahms, "Haydn-Variationen" B-Dur op. 56a
Ludwig van Beethoven, Konzert für Klavier und Orchester Nr. 5 Es-Dur op. 73
Ludwig van Beethoven, Symphonie Nr. 7 A-Dur op. 92 
Christian Thielemann, Dirigent
Hélène Grimaud, Klavier

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karrri - 2014-06-24 12:18
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