Die Wanderung

In der Früh sah ich hinauf, wo ich 2 Stunden später stehen würde.
Dazwischen gab es eine Wanderung, keine wirkliche Besteigung, eher einen Spaziergang - aufgrund einer nachmittäglichen Verabredung beim Filmatelier in Thiersee nahm ich den Berg von hinten: eine breite Forststraße zunächst, die Alm weiter oben verfügt über eine Luxuszufahrt, die Wanderer aber nehmen den Steig, der geradlinig die Serpentinen quert und auch etwas an Steigen abverlangt. Aber weit war's nicht. Oben dann gab es den Blick in die Tiefe, dorthin, von wo aus ich wenig zuvor heraufgeblickt hatte; vor allem aber gab es den Blick in die Weite, der mich zu einem Zeitpunkt öffnete, wo ich wieder einmal an der Enge des Tales und der Enge der Köpfe, die darin sind, zu scheitern drohte.

Im Anstieg war mir der Traum der letzten Woche wieder vor Augen, diese fremde Wohnung, die ganz in Orange zu leuchten schien, die ich zu hüten hatte für die auf Reisen gegangenen Besitzer. Meine Kinder waren wohl mit gekommen, aber nicht sichtbar - aber es gab noch andere W e s e n, auch Kinder?, die zurückgelassen worden waren, und ich w e i ß, dass ich sie getötet habe, es schien etwas zu sein, das ich tun m u s s t e, auch wenn es keine Spuren gab. Genausowenig kann ich mich an Emotionen erinnern, da waren nur diese nackten Erdstellen an einem schattigen Platz im Garten, wie kleine Gräber. Aber es war ein Gefühl von S c h u l d da, ich erwartete jederzeit das Eintreffen der Polizei, wollte achtsam sein, fluchtbereit. Doch dann hatte ich mich in irgendeiner Tätigkeit verzettelt, und als ich noch schnell in die Schuhe schlüpfen wollte, weil ich Autos vorfahren sah, und bei der Hintertür hinaus, was es schon zu
spät und die Uniformierten im Raum. Aber nichts geschah, alles blieb ruhig, die Herren zogen wieder ab, stellten keine Fragen. Etwas später kamen die Wohnungsbesitzer zurück, sahen um sich, mit fragenden Blicken, auf einem Stuhl lag ein weißes gehäkeltes Babyhäubchen, aber Fragen kamen nur zu den fehlenden Skulpturen im Garten; tatsächlich waren da zu Beginn eine ganz große Figur vor der Terrassentür gewesen und kleinere Objekte im Rasen, nun war alles weg, ich musste eine schlüssige Erklärung gehabt haben, die mir aber beim Aufwachen ebensowenig wiederkam wie andere Details.

So lag ich nun da und konnte nichts festmachen, fand keine Bezüge, es gab eine Schuld und keine Sühne, nur etwas Verscharrtes im Garten, das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Die ungeborenen Kinder, kam heute ein Gedanke. Allerdings musste ich nun, im Gehen, an die Diskussion zur Vergana denken, an die Schwierigkeit, mit solch mystischen Bezügen zurechtzukommen, die zugleich eine prekäre Beziehung widerspiegeln; was da wohl an Ängsten aufstieg, gegenüber eigenen Abgründen!

Als ich die Vergana das erste Mal gehört hatte, geschah dies in einer für mich unangenehmen Umgebung, obwohl eingebunden in den Rahmen von Literaturtagen - aber vielleicht bin ich nur so empfindlich. Die Unruhe draußen auf der Terrasse drang durch die großen Fenster, eine Beschattung tat sich mit dem Wandern der Wolken immer auf und zu, eine Rückkoppelung am Mikrofon verursachte Nervosität bei einer der verantwortlichen Literaturdamen, ihr betont unauffälliges leies Tappen war lauter als das weghörbare gelegentliche Gepiepe. Ein Text aber, der im Vortrag gerade einer deutlichen Nuancierung bedarf, verlangt nach einer Atmosphäre aufmerksamer Ruhe. Dennoch geriet ich in eine Stimmung von anhaltender Spannung, aus der ich nicht entlassen werden wollte, war in eine Parallelwelt versetzt.

Während ich auf der Terrasse in 1500 Metern Höhe saß, geradewegs zum Großglockner blickte und dieses hier festhielt, glitt plötzlich eine großer Rabe vom Dach, kreiste über den Köpfen der Wanderer, verharrte stehend in der Luft, den Kopf gesenkt, und mir war, als käme er direkt aus jener Welt.

Den Weg hinab nahm ich dann doch über den Forstweg: um die Knie zu schonen. Auf der Abseite vom Inntal blieb die Autobahn weg, die sonst bis ganz in die Höhe drang, es war plötzlich still. Die Landschaft schien in dieser Ruhe zu verharren, die Lärchen in einem dahingehenden Grün, die Tannen und Fichten ungerührt aufrecht, als wollten sie alle Wärme und Stimmung dieser Tage speichern - bald schon konnten kalte Winterstürme über sie hinwegfegen. Weiter unten, wo sich das Siedlungsgebiet wieder zusammenfügte, lag eine farbberauschte heitere Gelassenheit über den Wiesen und Rainen, das Kuhglockengeläut eine flirrende Klangkulisse. Viel später saß ich dann noch am Wasser, bis die Sonne ganz in der Senke verschwunden war. Ich war nicht allein, und es war wunderschön.
gulogulo - 2006-10-27 07:59

bild 1 erinnert an einen aktiven vulkan.

conzept - 2006-10-29 19:16

Leichtigkeit der Seele

Der Traum belehrt uns auf eine merkwürdige Weise von der Leichtigkeit unserer Seele. (Novalis)

ConAlma - 2006-11-04 09:03

Als hätte ich's gewusst und nicht nur geahnt, lag eine Woche später der Schnee, noch federleicht, über allem.

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karrri - 2014-06-24 12:18
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uferlos - 2011-10-08 00:28
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ConAlma - 2011-10-07 11:40
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rinpotsche - 2011-10-07 00:37
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sang und klanglos :-(
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