Strings im Musikverein
Manchmal verlaufen die Tage anders, als sie in der Vorstellung hätten sein sollen; manchmal aber wird der andere Verlauf auch selbst gegeben. Vor zwei Wochen war es, im Zug nach Wien, als ich das Kino- gegen das Konzertprogramm abwog und die letzte Entscheidung der nicht abschätzbaren Dauer einer Verkostung deutscher Rieslinge im Palais Coburg überließ. Es blieb früh genug für den Musikverein, es gab auch noch eine Karte. Für das Emerson String Quartet.
Ich saß viel zu früh in den engen Reihen des Brahms-Saales, zwischen zwei ernsten Herren, blickte nach draußen - und sah auf einmal: Lilli! Die Tänzerin mit den langen blonden Haaren und den langen weiten Röcken, gut ein Vierteljahrhundert ist es her, immer noch dieselben großen Augen, der wache, staundende Ausdruck darin, mit dem sie der Welt gegenübertrat. Ich hatte einem ihrer beiden Söhne den ersten Violinunterricht gegeben, der erste war es für ihn wie für mich, die Kinder waren bei einer Pflegemutter untergebracht, es war, wie ich damals erstaunt feststellte, meine erste Volksschullehrerin gewesen, ich war damals in ihrer ersten Klasse. Viele erste Male waren da zusammengekommen ... Hatte sie nicht auch Cello gespielt, Lilli?, es hätte zu ihr gepasst. So überraschend wie sie in der Tür aufgetaucht war, war sie auch wieder verschwunden. Und doch wusste ich, dass es einer jener Abende sein würde, an dem ich allein und doch so von Glück beseelt sein konnte.
Die Musiker spielten, bis auf den Cellisten, im Stehen, sie wirkten entblößter so, aber freilich, so könnte ich auch spielen wollen, käme das nicht dem Durchfluß zugute? Mendelssohn op.13 a-moll: das Streichquartett kannte ich gut, oft und oft hatte ich es gehört, es war verbunden mit einem Aufenthalt im Bregenzerwald, bei der Schubertiade, und einem elektrisierenden Zusammentreffen dort. Gleich die ersten Takte legten die Erinnerung frei, aber das war nicht bloße Sentimentalität, es ist die Vertrautheit mit der Musik, die in solchen Augenblicken greift. Die spiccato-Stellen im piano waren so leicht hingelegt, dass man kaum zu atmen wagte, wie überhaupt die großen Herren diese kleinen Instrumente mit so bewegender Behutsamkeit fassten. Ab dem zweiten Satz schien mir eine leichte Unsauberkeit in der Stimmung zu sein, eine feine Reibung, die gegenüber der Makellosigkeit einer CD (immerhin daheim: Alban Berg Quartett) das Spiel in ein Weicheres gleiten ließ. Das irgendwie lakonische Ende dieses Werkes glitt ganz sanft aus.
Danach Schostakowitsch, Streichquartett Nr.15 in es-moll: es wurde das letzte, obwohl 24 davon in allen Tonarten geplant waren. Ich hatte in den Tagen zuvor immer wieder seine vierte Symphonie gehört, dieses Quartett aber kannte ich nicht, zu diesem Zeitpunkt. Vorgestern aber hatte ich es auf OE1 wiedergehört, in einer Aufnahme mit Gidon Kremer und Yo Yo Ma, diese eindrucksvolle Interpretation beeinträchtigt nun etwas die Erinnerung an den 1. Dezember im Musikverein. Am Anfang steht eine bedächtig wegschwebende Tonfolge, ein stetes Ineinanderschmiegen der Instrumente, "zueinandergeneigt" fiel mir ein, als wären alle vier Streicher in einem Gespräch miteinander. Es ist eine sehr reduzierte, sehr radikale Musik, die Schostakowitsch hier geschrieben hat: die Sätze sind allesamt langsam zu spielen: Elegija, Serenada, Intermezzo, Noctjurn, Traurnij marsch und Epilog. Geschrieben sei es für alle Menschen, die auf dieser Erde leiden, an den anderen Menschen und am Menschsein selbst. Und dann sitzt man atemlos im Konzertsaal und hört dieser leidgewidmeten Musik zu und empfindet - Glück.
Ich saß viel zu früh in den engen Reihen des Brahms-Saales, zwischen zwei ernsten Herren, blickte nach draußen - und sah auf einmal: Lilli! Die Tänzerin mit den langen blonden Haaren und den langen weiten Röcken, gut ein Vierteljahrhundert ist es her, immer noch dieselben großen Augen, der wache, staundende Ausdruck darin, mit dem sie der Welt gegenübertrat. Ich hatte einem ihrer beiden Söhne den ersten Violinunterricht gegeben, der erste war es für ihn wie für mich, die Kinder waren bei einer Pflegemutter untergebracht, es war, wie ich damals erstaunt feststellte, meine erste Volksschullehrerin gewesen, ich war damals in ihrer ersten Klasse. Viele erste Male waren da zusammengekommen ... Hatte sie nicht auch Cello gespielt, Lilli?, es hätte zu ihr gepasst. So überraschend wie sie in der Tür aufgetaucht war, war sie auch wieder verschwunden. Und doch wusste ich, dass es einer jener Abende sein würde, an dem ich allein und doch so von Glück beseelt sein konnte.
Die Musiker spielten, bis auf den Cellisten, im Stehen, sie wirkten entblößter so, aber freilich, so könnte ich auch spielen wollen, käme das nicht dem Durchfluß zugute? Mendelssohn op.13 a-moll: das Streichquartett kannte ich gut, oft und oft hatte ich es gehört, es war verbunden mit einem Aufenthalt im Bregenzerwald, bei der Schubertiade, und einem elektrisierenden Zusammentreffen dort. Gleich die ersten Takte legten die Erinnerung frei, aber das war nicht bloße Sentimentalität, es ist die Vertrautheit mit der Musik, die in solchen Augenblicken greift. Die spiccato-Stellen im piano waren so leicht hingelegt, dass man kaum zu atmen wagte, wie überhaupt die großen Herren diese kleinen Instrumente mit so bewegender Behutsamkeit fassten. Ab dem zweiten Satz schien mir eine leichte Unsauberkeit in der Stimmung zu sein, eine feine Reibung, die gegenüber der Makellosigkeit einer CD (immerhin daheim: Alban Berg Quartett) das Spiel in ein Weicheres gleiten ließ. Das irgendwie lakonische Ende dieses Werkes glitt ganz sanft aus.
Danach Schostakowitsch, Streichquartett Nr.15 in es-moll: es wurde das letzte, obwohl 24 davon in allen Tonarten geplant waren. Ich hatte in den Tagen zuvor immer wieder seine vierte Symphonie gehört, dieses Quartett aber kannte ich nicht, zu diesem Zeitpunkt. Vorgestern aber hatte ich es auf OE1 wiedergehört, in einer Aufnahme mit Gidon Kremer und Yo Yo Ma, diese eindrucksvolle Interpretation beeinträchtigt nun etwas die Erinnerung an den 1. Dezember im Musikverein. Am Anfang steht eine bedächtig wegschwebende Tonfolge, ein stetes Ineinanderschmiegen der Instrumente, "zueinandergeneigt" fiel mir ein, als wären alle vier Streicher in einem Gespräch miteinander. Es ist eine sehr reduzierte, sehr radikale Musik, die Schostakowitsch hier geschrieben hat: die Sätze sind allesamt langsam zu spielen: Elegija, Serenada, Intermezzo, Noctjurn, Traurnij marsch und Epilog. Geschrieben sei es für alle Menschen, die auf dieser Erde leiden, an den anderen Menschen und am Menschsein selbst. Und dann sitzt man atemlos im Konzertsaal und hört dieser leidgewidmeten Musik zu und empfindet - Glück.
ConAlma - 2006-12-15 16:20
Stringent...,
Die haben Sie bestimmt im Stehen aufgeschrieben...
Mich wundert überhaupt nicht, dass der 'Trauer-Nie-Marsch' zum Glück verhilft...