Mahlers Dritte lässt sich nicht einzwängen, nicht in ein Autoradio auf dem Weg durchs Land, nicht mit bester CD-Aufnahme. Auch Konzertsäle reichen nicht, nicht die beste Akustik, die Schönheit des Saales - ein ständige Zerfließen, nur wenige Passagen, die ganz konzentriert und geschlossen sind und ins Schwelgen (ver)leiten; so viel Offenheit muss man erst einmal vertragen, aus- und durchhalten: die Orchester werden an ihre Grenzen getrieben, mitsamt den Dirigenten, wer hält wen, ist manchmal die Frage.
Und die Bläsersolisten dürfen sich keine Konditionsschwäche erlauben, aber das stehen nicht viele durch; vor vier Tagen erst, als ich die Symphonie wieder im
Lebendigen gehört hab, war dem so. Den Symphonikern begegne ich, instinktiv, mit Vorsicht, statt Gatti war ein mir gänzlich unbekannter Dirigent (aber was will das heißen), Christian Arming, eingesprungen (nicht dass ich Gatti vermisst hätte: sein italienisches Gezappel ist mir meist zuviel), der alle klischeehaften Attribute eines Dirigenten mitbrachte: heftig geworfener Kopf, weiche Bewegungen aus Schulter und Handgelenk, sich steigerndes Beugen und Wiegen, immer mit tadelloser Eleganz. Doch nichts davon half, das Orchester zu jener Präzision zu bringen, die vonnöten ist, wenn ein Werk so zerfällt, mit all den angerissenen, unterbrochenen Stimmungen, die vom Hoch ins Tief stürzen und sich wieder hinaufschwingen ins Höchste. Und wenn auch die Stimme nicht passt für Nietzsches „Oh Mensch“ -
[Einschub:Mahler und seine Lieder!
Allein eine Textzeile wie
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen mit einer solchen Intensität zu behaften, einen im Grunde trockenen Text - im Zusammenhang ist er es freilich nicht - zu solchem Klingen zu bringen, das ist jedes Mal wieder ein absolut berauschendes Erlebnis, wie überhaupt
Ich bin der Welt abhanden gekommen mich in einen Zustand der totalen Öffnung, Weitung, eines Zerfließens versetzt.]
- wenn auch hier zu wenig Kraft da ist, die Partie zu stemmen, dann fehlt schon viel für ein wirklich glückhaftes Konzerterlebnis.
O Mensch! Gib acht!
Was spricht die tiefe Mitternacht?
"Ich schlief, ich schlief -,
Aus tiefem Traum bin ich erwacht: -
Die Welt ist tief,
Und tiefer als der Tag gedacht,
Tief ist ihr Weh -,
Lust - tiefer noch als Herzeleid:
Weh spricht: Vergeh!
Doch alle Lust will Ewigkeit -,
- will tiefe, tiefe Ewigkeit!" (Nietzsche)