aus dem kulturbeutel

Sonntag, 26. April 2009

Wunderlich

Wenn das Kronos-Quartett vor den Hochöfen der Glasfabrik Riedel spielt oder, wie gestern, das Los Angeles Guitar Quartet in der Fertigungshalle einer Dosenfabrik, dann ist dies einem Kulturverein zu danken, der aus eigenem kabarettistischem Dilettieren heraus seine Veranstaltungstätigkeit vom Kabarett hin zu vielfältiger, immer interessanter Kulturperformance ausgeweitet hat. Mit viel persönlichem Einsatz zahlreicher helfender Hände und lokalen Sponsoren, die schon mal ihre Betriebshallen für einen Abend ausräumen, um eine ungewöhnliche Location zur Verfügung zu stellen - offizielle Saalmieten sind für einen solchen Verein nicht leistbar - ist so über die Jahre ein sehr lebendiges Kulturgeschehen entstanden.

Dazu gehört auch die gastronomische Grundversorgung der Events: Öffnung der Hallen eine Stunde vor Aufführungsbeginn, spartanische Sitzmöbel mit Biertischen und -bänken (mit weißen Tischdecken allerdings), vorzügliche Flaschenweine, und neben Käseteller und der Prosciutto-Grana-Antipasti-Kombination immer ein Überraschungsgericht; gestern warens Strudelteilsäckchen, gefüllt mit Schafkäse, dazu Rhabarber mit Ingwer und fein marinierter Radicchio. Zum künstlerischen Genuss also auch immer ein kulinarischer, das ganze ohne steife Saalbestuhlung - so was spricht sich rum, die Leute kommen mittlerweile auch von weiter her.

Von den vier Abschnitten des gestrigen Abends fühlte ich mich bei spanischer Renaissance und brasilianischen Arrangements (Jobim, Baden Powell) am wohlsten.

Sonntag, 31. August 2008

durchlässig

Nun weiß ich's, wie ich dieser Symphonie begegnen muss: mit allerhöchster Durchlässigkeit; so weit sein, dass mir die Grenzen abhanden kommen, um dieses wilde, bisweilen unbezähmbar scheinende Gebilde mit seinen disparaten Kapiteln einfließen zu lassen.

Gustav Mahlers Dritte Symphonie war mein persönlicher Festspiel-Abschluss, nicht anders als mit dem Geliebten hätt ich diesen erleben mögen, manches ist nur so und nicht anders vorstellbar. Hör ich mit ihm solche Musik, so ist es ebenso, als beugte er sich über mich, käme über mich, und ich, mit dem Moment des Aufnehmens: bin ich Meer.

Strahlend ist die Posaune, makellos in ihren Melodiebogen gegeben, unerschrocken der Musiker vor diesem großen Part. Wagner glitzert durch, Bruckner wohl auch, und alles, alles will hineingefügt sein in dieses Werk, die ganze Natur bekommt darin eine Stimme. Im letzten Teil dann, die Streicher weben so überwältigend Schönes, ist mir kein Halt mehr, mein Atem wird tief, ich spür die zu Klang geformten Noten bis in die äußersten Kapillaren, lege mich hinein in dieses Fließen, nicht aufhören soll's, dieses Empfinden -
doch Mahler setzt neu an, ganz zart mit den Flöten -

...mir ist manchmal selbst unheimlich zu Mute bei manchen Stellen, und es kommt mir vor, als ob ich das gar nicht gemacht hätte.

Ja, als hätte er Angst bekommen vor diesen Emotionen, die da durchdringen, denn als dann der sich langsam aufbauende Schluss immer drängender sich formt, klingt's nicht mehr so unkontrolliert weit, gar unendlich, sondern gezielt bombastisch, klar männlich, wohl gesetzt das Blech, die Tremolos, das Geflirre der Holzbläser: so viel kalkulierter als der "sich selbst gemacht habende" Abschnitt zuvor wirkt es (Man ist sozusagen selbst nur ein Instrument, auf dem das Universum spielt.)

Wiewohl, die Wucht macht wohl Gänsehaut, der den riesigen Raum füllende Applaus ist wie ein Rausch.

***

Der Hirsch ruft zum Frühstück zwischen Sonne und Bergen.
Schnittlauchbrot mit frischem Ingwer, Bauerneier im Glas, hausgemachte Marmeladen, grüner Tee.



[Die kursiv gesetzten Zitate sind dem Text von Walter Weidringer aus dem Programmheft der Salzburger Festspiele entnommen, der seinerseits G.Mahler zitiert.]

Freitag, 29. August 2008

Der Meerjungfrau Hals

Ein braunrosa Schleier legt sich über die Landschaft, ehemals üppiges Grün macht sich auf den Rückzug, die Wiesen atmen apfelschwere Ruhe. Wieder einmal hab ich Wege von hunderten Kilometern durchmessen, mich in neue Berge und lockendere Wiesenhänge verschaut, anderswo scheint schöner als daheim, der Reiz fremder Hausformen, die unbekannte Tiefe untadelig blauer Seen unter steilen Felswänden, was für ein Reichtum in der Welt! Und doch atmen wir ruhiger im Vertrauten, die Abende lösen sich in frühherbstlicher Stille.

...

Mir war viel erzählt worden von "Rusalka", so ergab sich nun die Gelegenheit, Dvoraks Oper selbst zu hören. Eine Inszenierung zum Hören, nicht zum Schauen, so schrill schien mir das Bühnenbild, das erste Bild ein billiges Puff, froschartig hüpfende Nymphlein darin, barockisierte Plastiksofas, und diese Projektionen an die Rückwand, waberndes Wasser mit Blüten und Schatten, muss ich sehen, was ich doch hören kann? Das Schloss des Prinzenin schrillem rot/weiß , ein weißer Flügel - wo ist Udo Jürgens?, die Hochzeitsgesellschaft eine Karikatur an herausgeputzter Dorf-Haute Volée, ist das gar der Ententanz? Die Ironie ist nur schwer zu begreifen, das Neon-Kreuz im Eck erinnert an versteckte Winkel in Neapel.

Die Augen also schließen, zumal mir ohnehin ein auftoupierter grauer Haarturm die Sicht auf die Bühne nimmt, und eintauchen in die wunderbaren Stimmen und Orchesterklänge. Mensch sein wollen, doch die Sprache nicht zu haben, wie lässt sich da lieben? Das Libretto macht Rusalka zur Kühlen, doch sie hat ihre Begierden, nur scheinen sie unvereinbar mit der Welt, in die sie sich selbst sehnte. Meine bislang gültige Meerjungfrau ist Ingeborg Bachmanns Undine, diese Inszenierung ließ mich nichts Schlüssigeres erleben.

Mit der Pause gab ich auf, mir selbst saß eine Jezibaba im Nacken, ich wollte keine weitere Verkrampfung im engen Gestühl riskieren, der Weg durch die Nacht war noch weit genug. So wusste ich allerdings nicht, ob die laryngitische und doch tapfer angetretene Camilla Nylund den ganzen Abend durchgestanden hat, ihre helle, klare und doch auch zu verzweifelter Kraft fähige Stimme aushielt.

Sonntag, 10. August 2008

Museum of Innocence

Die beiden Männer erschienen vor der mächtigen Kulisse der Felsenreitschule unfreiwillig reduziert auf ein höchst bescheidenes menschliches Maß.

pamuk

Sich eine Verbindung zur intimen Geschichte über Liebes- und Objektbesessenheit zu verschaffen war in dieser Raumunendlichkeit nicht leicht, und der Eindruck, es handle sich nicht eigentlich um den Dichter zu Gast, sondern eine in pompösem Rahmen inszenierte Promotion für dessen neuen Roman, ließ sich nicht wegschieben.

Helmut Lohner las einige Passagen aus der deutschen Übersetzung vor, aber seine schnarrende Stimme und der immer ein wenig auf Effekt bedachte Tonfall mochten atmosphärisch so gar nicht zu dem Text passen, in den man bereits gefallen war dank Pamuks von immer feinem Lächeln begleiteter eigener Worte zu den 600 Seiten, in eigenwilligem Englisch und endlos mäandernden Sätzenvorgetragen, in deren Fluss man am liebsten geblieben wäre.

Will man nun wissen, wie es zu den 4213 gesammelten Zigarettenkippen kam und zu all den anderen Objekten aus der Berührungsnähe der Geliebten? Bei gebackenem Kalbskopf und Veltliner im Garten der Blauen Gans gerieten Frau S. und ich allzu schnell vom Thema des Nachmittags zu eigenen Obsessionen. Und die Philharmoniker warteten auch schon.

Mensch, also Bösewicht

-Sono scellerato
Perché son uomo


singt Jago, sich zum Dämon von eigenen Gnaden stilisierend (aber im Showdown dann eine höchst lächerliche, nur mehr stammelnde Figur abgebend), während Otello durch die starre Kulisse taumelt, zu zart die Stimme, um sich über den doch so weich und dunkel gefärbten Klang des Orchesters zu erheben. Liebe, Raserei, Eifersucht - die großen Gefühle erstarren in einstudierten Bewegungen, als wären sie nie selbst gefühlt worden, als wäre der Sänger diesbezüglich noch unbeschrieben; ja, junge, noch wenig beschriebene Kräfte habe sich Muti hiefür geholt, war zu lesen. Starr auch die Personenführung, statisch die Chöre, die venezianische Wollüstigkeit der Kostüme erstickt im Halbdunkel der Bühne, in der Steife der Choreographie, und als im hinterhältig vertraulichen Zwiegespräch Jago-Cassio die beiden immer dann zu einem festgefrorenen Filmkader werden, wenn der verborgene Otello das Gehörte kommentiert, wird die ungeschickte statische Gewolltheit der Inszenierung, die da ins Lächerliche gleitet, überdeutlich.

Die zarte Transparenz der Vorspiele zum dritten und vierten Akt, die plakativ in unschuldiges Weiß gekleidete, auch stimmlich fließende Desdemona stimmen nur vorübergehend milde, der Abend bleibt als Unbehagen hängen. Die Salzburger Nacht danach ist kühl und menschenleer.

Heute 20:15 3sat

Freitag, 21. März 2008

Schweinfurter Grün

Kurzer Wechsel des Faches: Besuch am Stand der schönen Freundin auf der Kunst- und Antiquitätenmesse. Ich werde für hier zugehörig gehalten, der Zillertaler Schrank als besonders augenfälliges Möbelstück muss erklärt werden. Schweinfurter Grün, war im Zillertal stark verbreitet, diese Farbintensität ist noch der Originalzustand, da wurde keineswegs nachträglich Hand angelegt. Ja, man hat sich damals einen Kirchenmaler geleistet für das Ausfüllen der Felder, Jesus am Kreuz und andere religiöse Motive, die Kunstfertigkeit der Pinselführung ist deutlich unterscheidbar, kleine Gemälde von großer Intensität. Und doch werden sie überstrahlt vom Schweinfurter Grün, hochgiftig, leuchtend, aufmerksamkeitsbindend.

Bei der Galerie gegenüber plaudere ich über Arnulf Rainer damals und jetzt, die Erinnerung an meinen Lieblings-Kunst-Aufenthaltsort der Studentenzeit wird lebendig: das Zwanzgerhaus. Mit einem Mal wird eine Lücke fühlbar, die ich nie mehr zu schließen verstand. Melancholie im März-Schnee.

Sonntag, 24. Februar 2008

Tanz 3: Der Konzertmeister

Wieder einmal waren wir seinetwegen in den Goldenen Saal gekommen, wie wir schon den strahlenden Neujahrstag seinetwegen vor dem TV-Schirm verbracht hatten: George Prêtre. Der Hirsch, in einer unbedingten und emotionalen Treue den Wiener Philharmonikern zugetan, wäre sonst kaum bei den Symphonikern zu finden.

Was sonst ganz allgemein gilt, wie nämlich die unterschiedliche Interpretationsweise das Hören von bekannten Werken zu einer stets neuen Erfahrung macht, war diesmal wieder in ganz besonderem Maße zu erleben, bei Bruckners Achter, die ich so in Jahresfrist zum dritten Male hören konnte. Und während Thielemann sie sowohl mit den Münchnern als auch mit den Wiener Philis zu einem opulenten Klangerlebnis gemacht hatte, schälte Prêtre, modellierte und formte neue Hörräume in dieser Symphonie.

Aber leider hatte ich mich gleich zu Beginn mit dem Konzertmeister angelegt, eine Figur wie Thielemann, selbst der Haarschnitt erinnerte an den Dirigenten, nur die Hände sind keineswegs so elegant. Im ersten Satz trieb er seine Gruppe geradezu an, das führte zu einiger Verschobenheit in der Stimmführung, machte mich sofort nervös. Ich unterstellte ihm mangelnde Demut vor Werk und Mitmusizierenden, dazu saß er auch noch geradewegs in meinem direkten Blickfeld, sein ausufernder körperlicher Einsatz hinter Prêtres Rücken schien wie eine Soloperformance zu eigenen Gunsten. So etwas kann einen Konzertabend ganz schön beeinträchtigen - und außerdem saßen wir diesmal rechts.

Denn 3. Loge und 3. Loge sind nun mal nicht dasselbe! Links sitzend, sieht man die stablose und damit ausdrucksstärkere linke Hand des Dirigenten besser, er neigt sich zudem immer mehr nach links zu den ersten Geigen, so ist das Mienenspiel besser beobachtbar - beides wesentliche Bestandteile der Dirigierkunst von George Prêtre. Dafür waren die Celli und Hörner näher - und die glänzten an diesem Abend recht eindrucksvoll.

Dank fließenden, großartig durchgezogenen dritten und vierten Satzes, wo auch die Extrastimme keine Chance auf Vordergründigkeit hatte, wurde es aber doch ein wunderbar eindringliches Musikerlebnis, Tanz eben. Zu Allerletzt gab's noch Extraapplaus für den Großen alten Herren, als die Musiker das Podium schon längst verlassen hatten. Das verschmitzt lächelnde, die Ehrung mit Geduld wie Heiterkeit annehmende Gesicht war ein versöhnlicher Schluss.

Samstag, 10. November 2007

Georges Prêtre, Dirigent und Bilderzeichner.

Nach langer Zeit wieder einmal im Goldenen Saal. Bizets Erste Symphonie ist ein für mich gänzlich unbekanntes Werk; spätestens im zweiten Satz bin ich ganz im Banne der Musik, als die Oboe so zart und intim das Thema anstimmt. Vor allem aber bin ich im Banne jenes Mannes, der den Abend auf eine Weise gestaltet, wie ich es so noch nie erlebt habe: Georges Prêtre. Mit minimalen Gesten hält er jeden einzelnen Musiker bei sich, die Finger machen kleine Bewegungen, vor allem aber sein Gesicht spricht. Die expressive Mimik erzählt alles, was er sagen will, mit Augen und Mund baut er Beziehungen auf, zu Instrumentengruppen, zu Einzelpersonen, zum Orchestergesamt, zu den Zuhörern, zur Musik selbst.

Er macht bildhaft, was er hört und sieht in der Musik, lässt uns teilhaben an seinen Blicken, transportiert mit seinem Körper ganze Bilderwelten, lässt sie durch die Musiker vor uns erstehen. Zwei Mal legt er den Taktstock ab, im zweiten Satz bei Bizet, im dritten von Mahlers erster Symphonie. Hier zeichnet er mit beiden Händen weiche Gesten in den Raum, füllt ihn mit Emotionen. Die linke Hand baumelt zu Boden, es gibt kaum Bewegung, dann legt er sie ans Herz – was für ein Glück muss es sein, mit ihm musizieren zu dürfen.

Ja, es ist ein unentwegtes, unbändiges Musizieren, auch in den verhaltensten Augenblicken, mit den fast nicht mehr hörbar dahinflirrenden Violinen, den weich aus der Tiefe steigenden Bratschen. Der mitreißenden Lebendigkeit dieses Mannes, der da nicht nur das Orchester, sondern den ganzen Saal in seinen Händen hält, ist Hingabe gewiss, er verführt zu Lachen, wenn er verschmitzt ins Musikerrund lächelt, da oder dort ein Detail einmahnt, er lässt mittanzen und mitsingen. Und vor allem fühlen.

Was ich an diesem Abend aus Mahlers Erster heraushöre, ist um so vieles differenzierter, als ich es bislang kannte. Und mir bestätigt sich in aller Deutlichkeit, was ich bei Mahler auch sonst immer wahrnehme: neben all der Landschaftsmalerei, den Wald- und Wiesenidyllen ist eine zweite, ungewisse Ebene stets gegenwärtig, als ginge man frohgemut über grünes Gras, bei Sonnenschein und Vogelgezwitscher, und plötzlich verdunkelt sich der Himmel, unsicherer Boden liegt vor einem, Moor oder Treibsand, irgendetwas, das einen in Abgründe ziehen kann. Doch plötzlich sind da wieder die vertrauten Töne, unbedarfte, bodenverwachsene Tanzmusikklänge. Ständig wähne ich mich Traumwanderungen, wo die Szenenwechsel zwischen Freude, Heiterkeit und Alb so unvermittelt kommen.

Irgendwann, als Prêtre die Philharmoniker nur scheinbar entfesselt, aber mit raschen, kleinen Schlägen des Taktstockes geführt und gehalten, in einen Rausch aus Vollklang und Tempo geleitet, denke ich mir: was, wenn Gustav Mahler, dieser ernste, trockene Mann, der sich ein lebenshungriges Mädel zum Weib genommen hat, diese unbändige Kraft und Leidenschaft, die in seiner Musik wohnt, öfter in den dürstenden Schoß Almas gelegt hätte?

+++

Ebenso selten wie die Kinder sehe ich auch den Hirschen. Aber zwei Stunden gemeinsamen Musikerlebens sind von solcher Tiefe und Energie, dass damit so viele fehlende gemeinsame Stunden wettgemacht werden. Fünf Jahre Altersunterschied sind zwischen Prêtre und ihm, fällt mir auf, in fünf Jahren werde ich (Wunsch? Gewissheit?) ebenso wie die Musiker auf diese kleinen Bewegungen der Hände reagieren, die mich auch jetzt auf dem Weg halten. Keine großen Gesten, keine großen Worte - aber Achtsamkeit und Intensität im Kleinen.

Montag, 6. August 2007

Following Gustav

Ursprünglich wäre das ein Edit zum vorherigen Eintrag gewesen, aber um diese Uhrzeit nicht mehr ganz up to date. Dafür erweitert.

Alma Autofahrerin unterwegs

Auf der österreichdurchschreitenden Tour widerfährt mir Beethovens drittes Klavierkonzert. Aber, ja aber, es bleibt draußen, ist der Landschaft fremd, wiewohl mit ihm durchaus emotionale Erinnerungen verbunden sind.

Ganz anders etwas später Mahlers erste Symphonie. Schon die Hörner scheinen aus dem Wald zu steigen, die Streicher murmeln dann durch die Wiesen, die Flöten sitzen in den Bäumen. St. Dionysen, Allerheiligen, irgendwann Mürzzuschlag, nach der Phyrn weitete sich das Tal, die Musik legt sich über die Landschaft, wie ich es liebe, trägt mich mit. Als ich ins Mürzer Oberland biege und sich die Rax unvermutet vor mir erhebt, mit der mir unbekannten Hinterseite (vor vierzig Jahren war ich zuletzt da, den keuchhustenden Bruder auf Höhenluftkur begleitend), mich staunen macht, da tun die Geigen etwas, das sich in Tirol "schmirbm" nennt, sie fahren so weich und schmelzend rein, dass mir lustfröstelnd zumute ist.

Erst als aus Salzburg der der impulshaft sofort mit dem letzten Ton aufbrausende Applaus einsetzte, begab ich mich in den stillen Gastgarten der Holzers, Kalbsbraten und Kardinalschnitte ergaben ein vorzügliches Sonntag-Mittagsmahl.

Etwas windiger Rostbraten, durchaus anständiges Backhendl (zuständig: Tourismusschule Semmering) und heiß umkämpfter Weißwein waren erst zu viel späterer Stunde zu haben, Gustav (Mahler), Gustl (Klimt), Franz Werfel, ein sehr junger Gropius, ein trotz allem mit Bravour outrierender Kokoschka und vier grandiose Almas wirbelten durch die eindrucksvollen morbiden Räume des Semmeringer Kurhauses - ich tät ja sagen hinfahren, wenn ned alles schon ausverkauft wär.

Montag, 16. Juli 2007

Der Mond ist ein blutrot Eisen

Einem heißen, makellosen Tag bin ich gestern entsprungen, eingetaucht in die kalte blaue Bühne von Martin Kusejs Woyzeck-Inzenierung. Hab das warme Licht des Sonnenabends eingetauscht gegen grelles Neon, gegen Sätze von fataler Wucht, hab zugesehen, wie Figuren hilflos über eine von blauen Mülltüten zu unwegsamem Gelände gewandelten Bühne taumeln, sich an ihren zur eigenen Wahrheit gemachten Sätzen aufrecht halten, übereinanderstürzen, sich ineinander krallen, Marie im blutroten Kleid, ja da ist sie, für Augenblicke auch Herrin ihrer Lust, das war es, was ich überpüfen wollte, ob es denn wirklich dann so gewesen sein wird?

Anders ist es geworden, ich hab nicht mit dieser Wucht der Inszenierung gerechnet, die mich immer stummer werden ließ, nichts mehr konnte ich denken, hielt mich nur noch fest an Jens Harzer, diesem schmalen, bleichen Woyzeck, der sich selbst mit verlorenem Blick im Reigen der sich über ihn erhebenden Männergestalten irgendwo zu halten versuchte. Als es irgendwann stille war und die einen zu applaudieren begannen, musste ich weinen.

[Bislang kannte ich nur Alban Bergs Wozzeck, eine der wenigen Opern, die ich jemals mochte.]

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ConAlma - 2011-10-07 11:40
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rinpotsche - 2011-10-07 00:37
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books and more - 2011-10-07 00:30
sang und klanglos :-(
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