aus dem kulturbeutel

Freitag, 6. Juli 2007

Musik liegt in der Luft

Seit gestern sind sie wieder in Erl eingefallen, die Tiroler Festspiele. Nein, falsch, nicht die Spiele, sondern die Spieler. Die auf der anderen Seite der Bühne. Vor allem bei der Eröffnung sind viele Spieler da, Selbstinszenierer, Dortseinmüssenspieler, Pflichtspieler in deren Gefolgschaft, Neugierigspieler, Spielevermittler, was tat Ro Raftl da?, aber freilich auch viele, die um der Musik willen kommen.

Heinz Fischer, als Bundespräsident zu Erl zwangsverpflichtet, eröffnete recht aufrichtig bezüglich seiner Erler Unkenntnis, dafür mit leisen, langen politischen Worten; LH Van Staa war polternder gewesen; prägnant und kurz wie immer Geldgeber Haselsteiner, das Flugzeug verpasst hatte aufgrund von Stau in Paris der Moitier, der hat einen launigen Brief an den Kuhn geschickt, der es sich wiederum nicht nehmen ließ , diesen mit Accent vorzulesen; die eigentliche Rede (Kernthema: Kunst muss politisch sein) war dann Vortragssache jenes Schaupielers, der auch die Meistersinger-Lesung wird durchführen - hoffentlich mit verständlicherer Aussprache als alle seine Einsätze gestern.

Nach so viel teils ermüdendem Wortlaut sich dann der Musik hinzugeben ist gar nicht leicht, zudem auch Bruckners Dritte Symphonie, selbst in ihrer dritten Fassung, kein Werk für leichtes Hineinschlüpfen ist. Zwischen den mächtigen Bläserblöcken (sehr beeindruckend die Hörner), zarter Streichermeditation (so wunderbar samtig) und fröhlichen ländlerisch-volksnahen Weisen schweifen die Gedanken ab, der Blick bleibt an der zentral sitzenden jungen Cellistin hängen, die mit strahlender und lächelnder Energie fast ständig zum ihr frontal davor, ja darüber stehenden Gustav Kuhn blickt und in ihrem hingebend leidenschaftlichen Spiel fast nie in die Noten blicken muss. Auf der Seite der zweiten Geigen sind bemerkenswert viele schöne Frauenbeine zu sehen, dort tragen die Mädchen mehr Röcke, die nackten Füße sind in zarte hochhackige Sandalen gesteckt.

Beim Frühstück erfahre ich, dass über verschlungene Wege Karten für Bruckners Siebte mit Harnoncourt in Salzburg errungen wurden; vor drei Tagen erst hat das Scherzo die Landschaft, die ich gerade durchfuhr, auf so unwiderlegbar überzeugende Weise zum Klingen gebracht, wie es in einem Konzertsaal nie geschieht.

Montag, 18. Juni 2007

Move him into the Sun

Als ich vorgestern im Sonnenlicht von den Abhängen des Manhartsberges in die heiße Stadt fiel, war Dunkelheit, Kühle, gar Schauder nicht im Bereich meiner Vorstellungskraft. Doch die Aufführung von Brittens War Requiem brachte dies und noch viel mehr. Ich war unvorbereitet, kannte den zusätzlichen, von Britten verarbeiteten Text nicht: die Verszeilen des englichen Lyrikers Wilfred Owen, der mit 25 Jahren 1918 gefallen war und die mit ihrer verdichteten Form so viel eindrücklicher Kriegsschrecken vermitteln als lange Plädoyers, erfahren durch die musikalische Ausgestaltung Britten s eine ins Unheimliche, wahrlich Erschütternde gehende Ausgestaltung: Tenor- und Baritonsolo, Kammerorchester. Ian Bostridge und Christian Gerhaher transportierten die Inhalte auf so eindringliche Art, dass am Schluss nur mehr Tränen blieben.

Die Abraham-Isaak-Passage, die erstes Schmerzempfinden brachte: But the old man would not so/but slew his son/and half the seed of Europe/one by one. Die beiden Sänger nahmen mich mit ihren Blicken und ihrer Stimme bei der Hand, führten mich vor die unvorstellbare Szenerie des Schlachtens: I am the enemy you killed, my friend/I knew you in this dark; for so you frowned/yesterday through me as you jabbed and killed.

Beim abschließenden gemeinsamen Let us sleep now ... konnte auch Ian Bostridge seine Berührung nicht mehr verbergen, mit Tränen nahm der den nach lang anhaltender Stille langsam aufbrausenden Applaus entgegen.

Jeder - so dachte ich da - der auch nur im Geheimen einen Krieg anzudenken wagte, müsse mit diesen Männerstimmen und diesem Text und diesem Kammerorchester eingeschlossen werden und so lange hören, bis er fühlt. Und versteht.

Die gleißende Sonne, in die wir uns dann bewegten, schien härter als zuvor; weich und wohlig wärmend aber war die Liebe der Freunde, die mich danach umfing.

Dienstag, 3. April 2007

Requiem

Samstag, Musikverein, Ein deutsches Requiem von Brahms. Wiener Philharmoniker und der Schönberg-Chor - zwei der besten Klangkörper Österreichs im überwältigenden Miteinander. Dazu eine Stimmung von aktuellem Tod und künftigem, greifbarer gewordenem Vergehen: bei den hämmernden Versen des zweiten Satzes, Denn alles Fleisch, es ist wie Gras, diesem eindringlichen Trauermarsch, spätestens hier beginnt eine Auflösung alles in dieser Woche Aufgestauten, ein sich in Mahnung und Trost Begeben; dazu bedarf es keiner christlichen Religiosität, nur eines Annehmens: das ist Sein.

Samstag, 24. März 2007

Thielemann in Ereignispose

Gestern im Wiener Musikverein: die Wiener Philharmoniker mit Bruckners Achter Symphonie. Nach einem fulminanten Vierten Satz erstarrte Christian Thielemann skulpturgleich, verharrte in einer Pose wie von Rodin gemeißelt: Oberkörper nach vorne gebeugt, Kopf gesenkt, die rechte Hand zur Faust geballt, als hielte er darin noch alles, was zuvor gewesen, fest. Und blieb, als wolle er ein paar ungezügelte Zu-Früh-Klatscher strafen, darin um noch einige endlose Sekunden länger, ehe er mit seinem Aufrichten den ungezügelten Applaus und Begeisterungsrufe auslöste. Der Dirigent als Ereignis.

Doch abgesehen von dieser Selbstinszenierung, die am Rande des Erträglichen schillerte, bescherte er mit diesem zuvor in Amsterdam und Berlin schon heftigst applaudierten Konzert nun auch in Wien ein intensives, streckenweise schier unfassbares Klangerlebnis. Im Adagio war ich mir immer wieder sicher, so Schönes noch nie gehört zu haben, die Ergriffenheit war rundum fassbar, und ich bin voller Dankbarkeit, dieses Erlebnis geteilt haben zu können.

Die (Klang)Größe des Orchesters lässt sich mit nichts anderem als Superlativen mitteilen; über die Anstrengungen der langsamen Tempi und der Intensität, die der Dirigent abverlangt, kann ich nur mutmaßen.

Als uns, viel später irgendwann, die Worte wieder kamen, ging der Hirsch auf die Suche nach einer Instanz, der er seine Dankbarkeit über das Erlebte mitteilen könne. Doch abgelenkt von einer Flasche Schrammler und einem exzellenten Branzino al Cartoccio blieb nur ein begonnener Satz über die europäische Musik als abendländische Form von Meditation zur Erfahrung des Seienden im Raum hängen. Das innerlich vorhandene Dankesbedürfnis, gerichtet an etwas, das über eine mütterliche Instanz hinausgehen müsste, sei so groß, dass es von einem Menschen, der versuche, dies aufzunehmen, wohl gar nicht erfasst werden könne. Ein solches Bedürfnis war den Hirschen gestern mit großer Vehemenz überkommen und damit der Wunsch, dies "irgendwo" aufgehoben zu wissen.


Nachtrag des Hirschen:
Zusätzlich zum eigentlichen, durch die Musik evozierten Musikempfinden, das für sich alleine schon für große Dankbarkeit gut ist, ist es noch der Umstand, solches gemeinsam mit Alma erlebt haben zu können, auch wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Empfindungen jeweils dieselben seien. Aber doch ist die Dankbarkeit durch das Gemeinsame über alle Maßen gesteigert.

Samstag, 17. Februar 2007

Ein von Musik geschüttelter Körper

Das endgültige Programm des Konzertes der Wiener Philharmoniker am Donnerstag dieser Woche stand erst zu Wochenbeginn endgültig fest: ursprünglich sollte Daniel Barenboim erst Schuberts Fünfte, dann Bruckners Siebte Symphonie dirigieren. Die erste Programmänderung kam vor etwa zwei Wochen: nicht Bruckner, sondern Wagner, Orchesterstücke aus den Opern. Und dann mit Wochenbeginn: Boulez, nicht Barenboim. Kein Schubert, dafür Bartók. Und doch Bruckner. Der Hirsch war glückselig.

Die "Musik für Saiteninstrumente, Schlagzeug und Celesta" von Bela Bartók hörte ich zum ersten Mal. Ziemlich viel mitreissende Lebensfreude. Ich hatte den Cellisten Franz Bartolomey direkt im Blickfeld - ihm im zweiten Satz zuzusehen, wie er verschmitzt lachte, mit den Augen blitzte, eine Fröhlichkeit hinausstrahlte, sich wiegte und bewegte: das verstärkte noch das eigene Empfinden.

Im Adagio ergriff mich dann unvermittelt Rührung, ganz ungewohnt bei einem Stück, das ich nicht kenne. Es schien mir, als griffe etwas in dieser Komposition direkt auf mich zu, verflüssigte sich in den Gliedmaßen und drängte über den Hals in die Augenhöhlen. Ich war erstaunt - und glücklich.

Und dann Bruckners Siebte. Ein Stück, bei dem ich vorher schon weiß, was geschehen wird. Wo dieses "Ergriffensein", also dieser Zugriff der Musik nie ausbleibt. Allerdings ist da, im Unterschied zu Bartók, die persönliche Historie mit im Spiel. Es sind Erinnerungen an Gefühle, an sehr zwiespältige Gefühle, verschüttete "Erfahrungen" aus der Jugendzeit, die sich mit der Kraft der Musik verbunden haben. Erfahrungen, die erst in den letzten Jahren aus dem Eis der Abwehr herausgetaut sind.

Doch dieses bisschen an Tränen, das sich da jedes Mal staut, ist nur eine kleine sentimentale Regung im Vergleich zu dem, was ich bei der unmittelbar vor mir sitzenden Person wahrnehmen konnte. Ein schmächtiger Mann, Asiate, ich sah ihn nur von hinten, hätte im Nachhinein nicht sagen können, ob Japan oder doch eher eine südlichere Herkunft, in einem bescheidenen braunen Tweedsakko drückte er sich die ganze Symphonie über ganz nah an die Säule zu seiner Linken, sah kein einziges Mal auf die Bühne. Aber er h ö r t e. Er hörte offenbar mit einer solchen Intensität und Offenheit, dass er von der Musik ganz durchdrungen wurde, der zarte Körper begann immer mehr zu beben. Ich konnte von hinten nur das Zucken der Schultern sehen, das immer wieder, vor allem bei ganz filigranen Stellen, in ein unverhohlenes Schütteln überging. Wie mir der Hirsch danach sagte, sei auch das Gesicht tränenüberströmt gewesen.

Und Pierre Boulez? Ich empfand ihn als wunderbar bescheidenen Dirigenten. In seiner trockenen Art benötigt er keine großen Gesten, die überwältigenden Steigerungen münden geradezu mühelos im unnachahmlich weichen Piano. Ich könnte mich ebenso vertrauensvoll in seine Hände begeben, wie es die Philharmoniker offenbar taten. Denn sie klangen - überwältigend.

Sonntag, 14. Januar 2007

Thielemann tanzt.

Vor etwas mehr als Wochenfrist: Christian Thielemann dirigiert die Münchner Philharmoniker. Auf dem Programm: Bruckner, 8. Symphonie.

Ich bin, trotz großer Nähe, zum ersten Mal im Konzertsaal des Gasteig. Die Platzfreiheit ist höchst angenehm, wenn man an die engen Reihen im Musikverein denkt, ebenso die uneingeschränkte Sicht von allen Plätzen aus.

Der Auftritt des Dirigenten: eine einzige Inszenierung. Er habe, sagt mein Begleiter, in den letzten Jahren offenbar an Selbstpräsentation gehörig zugelegt - der sich seiner Wertig- und Gewichtigkeit bewusste Dirigent ist in jeder (absichtlich gesetzten oder gekonnt internalisierten) Geste erkennbar. Mit betonter Lässigkeit lehnt er an der "Reling" des Dirigentenpodestes, die Beine locker übereinandergeschlagen, hinter der Beiläufigkeit aber verbirgt sich höchste Konzentration. Denn plötzlich spannt sich der Körper, und sogleich folgt der Einsatz.

Die Intensität, mit der er das Orchester in seinen Händen hält, ist von Beginn an spürbar, ab dem dritten Satz gleiten beide, Dirigent und Orchester, wie eine große Einheit durch den Raum. Vor allem die Streicher beeindrucken mit einem samtigen Klang, wie man ihn in München nicht von vornherein suchen würde. Und Herr Thielemann tanzt: ohne Pult und Noten ist ihm genügend Raum gegeben, er geht in die Knie, wendet und dreht sich, aber niemals übereifrig oder hastig, schon gar nicht karikaturenhaft, sondern voller Spannkraft und Geschmeidigkeit.

Im März werde ich ihn in Wien mit ebendem Programm, nur eben mit den Wiener, wieder hören können. Auch eine Art Interpretationsvergleich.

Mittwoch, 10. Januar 2007

"a Moderna, na seawas"

Ein Konzertbesuch im Musikverein ist gefährlich. Man sollte vorher, während der Pause und nachher, bisweilen auch währenddessen die Ohren zumachen, um nicht den profunden Kommentaren und Reaktionen eines gleichwohl rührend in die Jahre gekommenen Stammpublikums ausgesetzt zu sein.

Da beugt sich ein vergleichsweise "junger" Mann mit altem Bart über das Programmheft seiner blassen Frau und spricht: "Wer is'n des? A Moderna? Na seawas!" Sie daraufhin, verzagt: "Oba den kennan ma doch!"

Der "Moderne" war Franz Schmidt, Vierte Symphonie. Gespielt von den Wiener Symphonikern unter Fabio Luisi. Als ich vor Weihnachten nach einer CD dieses Werkes Ausschau hielt, habe ich drei Interpretationen gegeneinander abgewägt: genommen hab ich nicht den flotten Welser-Möst um rasante 5 €, nicht Fabio Luisi und das MDR-Orchester in einer weitaus behäbigeren Version, sondern die Amsterdamer Philharmoniker unter Yakov Kreizberg, eine auch aufnahmetechnisch eindrucksvolle Version. Aber selbst bei einer halben Stunde Hineinhören und Vergleichen ist es schwer, eine wirklich gültige Aussage zu treffen.

Mit einer solchen tu ich mir auch nach dem heutigen Konzert schwer, wirklich nah ging mir nur die Wiederholung des Trompetenthemas durch die Hörner. Deshalb bleib ich auch lieber bei den Publikumsbeobachtungen, die waren reichlich irritierend: da passiert dem Solotrompeter beim leise ausklingenden Schluss eh schon ein blöder Gickser, den man aber leicht wegdenken könnte, und dann platzt doch tatsächlich ein Ungeduldiger mit Klatschen in den kaum ausgehallten Ton hinein und zerstört das Nachatmen. Den verständnislosen Pausenkommentaren bin ich gleich ausgewichen.

Aber dann, die ideale Musik für Abonnentenseelen: die Pathétique. Gar nicht pathetisch genommen von Fabio Luisi, der sich zeitweise so schüttelnd und windend und gestikulierend in die Musik und zu seinen Musikern hinkniete (wieso nur war er bei Schmidt soo verhalten?), dass er wie eine Karikatur eines Dirigenten wirkte. Aber das kam an. Und den dritten Satz nahm er so energisch militärisch streng, dass es zu Schunkelreaktionen auf den Rängen kam, und jene, die wohl vergessen hatten, dass hier ein weiteres Werk still ausklingt, fielen nach dem ratatam-Satzschluss gleich in einen Schlussapplaus - und das ist das Publikum des Goldenen Saales?

Freitag, 15. Dezember 2006

Strings im Musikverein

Manchmal verlaufen die Tage anders, als sie in der Vorstellung hätten sein sollen; manchmal aber wird der andere Verlauf auch selbst gegeben. Vor zwei Wochen war es, im Zug nach Wien, als ich das Kino- gegen das Konzertprogramm abwog und die letzte Entscheidung der nicht abschätzbaren Dauer einer Verkostung deutscher Rieslinge im Palais Coburg überließ. Es blieb früh genug für den Musikverein, es gab auch noch eine Karte. Für das Emerson String Quartet.

Ich saß viel zu früh in den engen Reihen des Brahms-Saales, zwischen zwei ernsten Herren, blickte nach draußen - und sah auf einmal: Lilli! Die Tänzerin mit den langen blonden Haaren und den langen weiten Röcken, gut ein Vierteljahrhundert ist es her, immer noch dieselben großen Augen, der wache, staundende Ausdruck darin, mit dem sie der Welt gegenübertrat. Ich hatte einem ihrer beiden Söhne den ersten Violinunterricht gegeben, der erste war es für ihn wie für mich, die Kinder waren bei einer Pflegemutter untergebracht, es war, wie ich damals erstaunt feststellte, meine erste Volksschullehrerin gewesen, ich war damals in ihrer ersten Klasse. Viele erste Male waren da zusammengekommen ... Hatte sie nicht auch Cello gespielt, Lilli?, es hätte zu ihr gepasst. So überraschend wie sie in der Tür aufgetaucht war, war sie auch wieder verschwunden. Und doch wusste ich, dass es einer jener Abende sein würde, an dem ich allein und doch so von Glück beseelt sein konnte.

Die Musiker spielten, bis auf den Cellisten, im Stehen, sie wirkten entblößter so, aber freilich, so könnte ich auch spielen wollen, käme das nicht dem Durchfluß zugute? Mendelssohn op.13 a-moll: das Streichquartett kannte ich gut, oft und oft hatte ich es gehört, es war verbunden mit einem Aufenthalt im Bregenzerwald, bei der Schubertiade, und einem elektrisierenden Zusammentreffen dort. Gleich die ersten Takte legten die Erinnerung frei, aber das war nicht bloße Sentimentalität, es ist die Vertrautheit mit der Musik, die in solchen Augenblicken greift. Die spiccato-Stellen im piano waren so leicht hingelegt, dass man kaum zu atmen wagte, wie überhaupt die großen Herren diese kleinen Instrumente mit so bewegender Behutsamkeit fassten. Ab dem zweiten Satz schien mir eine leichte Unsauberkeit in der Stimmung zu sein, eine feine Reibung, die gegenüber der Makellosigkeit einer CD (immerhin daheim: Alban Berg Quartett) das Spiel in ein Weicheres gleiten ließ. Das irgendwie lakonische Ende dieses Werkes glitt ganz sanft aus.

Danach Schostakowitsch, Streichquartett Nr.15 in es-moll: es wurde das letzte, obwohl 24 davon in allen Tonarten geplant waren. Ich hatte in den Tagen zuvor immer wieder seine vierte Symphonie gehört, dieses Quartett aber kannte ich nicht, zu diesem Zeitpunkt. Vorgestern aber hatte ich es auf OE1 wiedergehört, in einer Aufnahme mit Gidon Kremer und Yo Yo Ma, diese eindrucksvolle Interpretation beeinträchtigt nun etwas die Erinnerung an den 1. Dezember im Musikverein. Am Anfang steht eine bedächtig wegschwebende Tonfolge, ein stetes Ineinanderschmiegen der Instrumente, "zueinandergeneigt" fiel mir ein, als wären alle vier Streicher in einem Gespräch miteinander. Es ist eine sehr reduzierte, sehr radikale Musik, die Schostakowitsch hier geschrieben hat: die Sätze sind allesamt langsam zu spielen: Elegija, Serenada, Intermezzo, Noctjurn, Traurnij marsch und Epilog. Geschrieben sei es für alle Menschen, die auf dieser Erde leiden, an den anderen Menschen und am Menschsein selbst. Und dann sitzt man atemlos im Konzertsaal und hört dieser leidgewidmeten Musik zu und empfindet - Glück.

Freitag, 29. September 2006

Architektur. Klang: Schimana - Bösze im BTV-Stadtforum.

Am Anfang war Heinz Tesar. Führte eine bunte Gruppe durch das farbreduzierte Gebäude der neuen BTV Innsbruck. Stein, Beton, Holz. Grau und weiß. Holzfarben. Stadtforum. Der Stadt (im Sinne eines gelebten Ortes) etwas zurückgeben, mit Schönheit gut machen, dass ein Ort besetzt wird. Ortsneubildung, Raumschaffung. Bankgebäude: Aufgabe des Architekten, Widersprüche ins Nichts aufzulösen. Zentraler Raum von nicht unmittelbarer Funktion,"überflüssiger Raum" also, halböffentlich, die volle Höhe wiedergebend: Säulenrechtecke aus Beton, schlank hinanstrebend bis zum Nordkettenblick, in pointierter Ornamentik endend, die Brüstung des vierten Stockes schlägt ironische Haken, die Strenge des Unten mündet in der Heiterkeit des Oben: der überbaute Innenhof, Forum fürwahr, möglicher Ort der Begegnung. Durch die hohe Türe dann in die Tonhalle, ein in sich geschlossener Raum (trotz hoher Fenster in den offenen Hof): Wand Boden Decke in kopfgeschnittenem Bambus (kopfgeschnitten: das könnte aus einer dieser bemüht poetisierenden Speisenkarten stammen), die Menschen werden gleich weich beim Betreten des Raumes, geben sich mit einem Aahh ihm hin.

Im überflüssigen Raum dann: Schimana on Tesar. Auftragswerk der Klangspuren Schwaz, Uraufführung. Elisabeth Schimana - machen Sie sich hier selbst ein Bild - füllt, inspiriert von Textfragmenten und Gesprächen mit Heinz Tesar, den Raum. Die Instrumente: ein Apple-Laptop, ein Mischpult, vier Boxen, Cordula Bösze mit zwei Flöten. Der Flötenton wird übernommen, rhythmisiert, unterschiedliche Tonhöhen übereinandergelegt, dazwischen feines Pfeifen, eine kleine Melodie, kaum hörbar, denn der eindringliche Klang legt sich , ja, gewebegleich über alles, ein Vibrieren stellt sich ein, zerteilte Töne, einmal ist man an ein Digeridoo erinnert, dann hebt ein Surren Summen Flirren an, Insektenschwarm, der Grundton steigert sich weiter und weiter, ein Knistern, das durch die Boxen wandert, harte Schläge wie schwere Regentropfen, Knattern, laufende Explosionen, Hubschrauberrotor im Hintergrund, die Schläge dringen in den Boden hinein, und aus der kleineren Flöte ohne Tonabnehmer kreisen feine Töne, einem Luftballonaufblasen gleich, durch den Raum, der bis in die Ornamentspitzen mit Klang erfüllt ist.

Pause, in der Toilette (weiß, nichts als weiß): alles scheint starr, die absolute Stille. Man steht: noch im Klang schwankend, in dieser plötzlichen Stille, wie eine unziemliche Bewegung sich selbst scheinend. Dann erst kommt das verwirrte Summen der anderen Frauen.

Teil zwei, in einem kleineren Raum, der zur Galerie im Hause gehört: Leinwand, Boxen, Laptop, Theremin, Flöte, drei Frauen: zu Schimana und Bösze noch Lena Golovasheva, deren Bewegungen den Input der Flöte (gespeist in eine analoge Filterbank) mittels Theremintechnologie frequenzmodulieren: Feedback aus Instrument, Bewegung und Elektronik.



Der Titel des Stückes: 4:3, die Proportion, daraus fließt das harmonische Verhältnis der Quart. Sinustöne, in Licht gewandelt, rot grün blau, die Grundfarben. Ein klarer Aufbau des Stückes: vier mal Bewegung und Elektronik, die Grundfarben, immer harter, trockener Klang, mit einem Halbton absteigend beginnend, Grundton, Terz, Quart, Schichtungen, Vibration, die Töne sitzen in der Magengrube, decken die Ohren zu. Und drei mal die Zwischenstücke: vor gelber Lichtleinwand, die Tänzerin, die die Flötenbewegungen umsetzt, das Schlagen auf den Löchern, das Flüstern ins Instrument, wie Wasserblubbern, Surren, Zirpen. Der letzte Teil gleitet von eindringlichem Ostinato in einem Fünfertakt in eine stehende Quart, senkt sich zur Tonika und atmet sich aus.

Raumklang, spürbar, visualisiert. Verdichtung der Sinne.



*Nachsatz: Ich hatte Elisabeth gleich wiedererkannt. Vor dreissig Jahren waren wir einmal gemeinsam einkaufen. Sie war damals schon eine Frau mit Stil. Da kannte ich aber nur ihren Vornamen.

Donnerstag, 21. September 2006

Klangspuren: Wisser & Schostakowitsch

Es war ein langer Abend gestern in den Kristallwelten, viereinhalb Stunden kontrastvolles Programm. Im Zentrum des ersten Teiles stand Haimo Wisser, ein Wiener, der in Tirol seine Schaffensheimat gefunden hat, der sich nicht zuordnen lässt in der Musiker oder der Poet. Ein der Idee des Autodidaktischen verhafteter, der sich nicht institutionalisieren ließ. Ich erschrak: hatte ich ihn nicht unlängst erst selbst noch gehört, gesehen? Dieses unlängst aber muss irgendwann vor 1998 gewesen sein, da nämlich hielt er seinem extremen Anspruch an sich selbst nicht mehr aus, brach daran, entschied sich für den Fortgang aus dem Leben.

Als wohl humorvoller Wanderer auf suchenden Wegen im Unsicheren ("das Professionelle funktioniert eh von selbst") entwickelte er aus Sperrmüllstücken das wunderbare Plattenglockenspiel; sein Schlagwerk bestand ja überhaupt auch aus Blechkanistern und Kochtöpfen.

Um elf dann erst, reichlich spät, die 4.Symphonie von Schostakowitsch. In seiner Bearbeitung für Klavier zu vier Händen. Das schmerzvolle Werk, mit einer leidvollen Schaffensgeschichte, erst acht Jahre nach Stalins Tod war es zur Uraufführung gekommen, ist voll von Zerrissenheit. Diese vierhändige Klavierfassung aber, mit dem vergleichsweise schmeichelnden Klang zweier Steinways, macht zwar die Struktur des Werkes transparent, aber lässt die Kontraste von Stille und Ausbruch, die Kontraste der Klangfarben, die bestimmend sind für die unmittelbare Rezeption, missen. Was sonst splitterhaft wirkt, grell, bizarr, kam so, gestern, als viel zu homogene Studie für vier Hände an.

Vielleicht aber lag es auch an der Interpretation? Dennis Russell Davies, sehr distanziert wirkend, mir gab er den Anschein, als würde er grad schnell an Etüden üben, so wenig strahlte da herunter; und eine zarte Maki Namekawa, rückenfrei gewandet, das ließ das Muskelspiel bis in die Rückenstränge verfolgen, viel unmittelbarer verwoben mit dem Stück scheinend.

Aber ich bin ohnehin keine Freundin von Uminstrumentierungen, vor einer Woche etwa überraschten mich beim Autofahren vertraute Wendungen in seltsam dünnem Gewande: Mahlers Vierte für Kammerorchester, da fehlte mir alles, was mir als Essenz lieb ist, bei aller Transparenz im Gefüge. Aber umgekehrt auch: Schönbergs Verklärte Nacht mag ich in Orchesterfassung wieder nicht hören, weil da gerade der individuelle Ausdruck des Streichsextettes erst den zugrundeliegenden Text hörbar macht, nicht überspült.

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