Thielemann in Ereignispose

Gestern im Wiener Musikverein: die Wiener Philharmoniker mit Bruckners Achter Symphonie. Nach einem fulminanten Vierten Satz erstarrte Christian Thielemann skulpturgleich, verharrte in einer Pose wie von Rodin gemeißelt: Oberkörper nach vorne gebeugt, Kopf gesenkt, die rechte Hand zur Faust geballt, als hielte er darin noch alles, was zuvor gewesen, fest. Und blieb, als wolle er ein paar ungezügelte Zu-Früh-Klatscher strafen, darin um noch einige endlose Sekunden länger, ehe er mit seinem Aufrichten den ungezügelten Applaus und Begeisterungsrufe auslöste. Der Dirigent als Ereignis.

Doch abgesehen von dieser Selbstinszenierung, die am Rande des Erträglichen schillerte, bescherte er mit diesem zuvor in Amsterdam und Berlin schon heftigst applaudierten Konzert nun auch in Wien ein intensives, streckenweise schier unfassbares Klangerlebnis. Im Adagio war ich mir immer wieder sicher, so Schönes noch nie gehört zu haben, die Ergriffenheit war rundum fassbar, und ich bin voller Dankbarkeit, dieses Erlebnis geteilt haben zu können.

Die (Klang)Größe des Orchesters lässt sich mit nichts anderem als Superlativen mitteilen; über die Anstrengungen der langsamen Tempi und der Intensität, die der Dirigent abverlangt, kann ich nur mutmaßen.

Als uns, viel später irgendwann, die Worte wieder kamen, ging der Hirsch auf die Suche nach einer Instanz, der er seine Dankbarkeit über das Erlebte mitteilen könne. Doch abgelenkt von einer Flasche Schrammler und einem exzellenten Branzino al Cartoccio blieb nur ein begonnener Satz über die europäische Musik als abendländische Form von Meditation zur Erfahrung des Seienden im Raum hängen. Das innerlich vorhandene Dankesbedürfnis, gerichtet an etwas, das über eine mütterliche Instanz hinausgehen müsste, sei so groß, dass es von einem Menschen, der versuche, dies aufzunehmen, wohl gar nicht erfasst werden könne. Ein solches Bedürfnis war den Hirschen gestern mit großer Vehemenz überkommen und damit der Wunsch, dies "irgendwo" aufgehoben zu wissen.


Nachtrag des Hirschen:
Zusätzlich zum eigentlichen, durch die Musik evozierten Musikempfinden, das für sich alleine schon für große Dankbarkeit gut ist, ist es noch der Umstand, solches gemeinsam mit Alma erlebt haben zu können, auch wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Empfindungen jeweils dieselben seien. Aber doch ist die Dankbarkeit durch das Gemeinsame über alle Maßen gesteigert.
WilderKaiser - 2007-03-29 22:37

Ich laufe gleich grün an vor Neid. LG, WilderKaiser

dfw - 2007-04-03 04:10

endlose Sekunden

Das Erlebnis war unvergleichlich. unwiederbringlich, singulär. Es hat sich in meiner Seele eingenistet, daß ich die Achte wohl nie wieder hören werde wollen. So wie ich Orte meiner Jugend nie wieder besuchen will.

Meine Begleitung hat es ähnlich empfunden wie ich. Und dieses Empfinden teilen zu dürfen macht es vielfach stärker. Die Tränen flossen - im Adagio. Fast haltlos. Ohne Scham.

Und nach dem Schlußakkord hätte ich mir noch einige Sekunden des Verweilens gewünscht. In diesem Rausch, schwerelos, fast besinnungslos. Nicht herausgerissen werden aus dem soeben Gehörten, Gefühlten. Es noch halten wollen, als etwas ganz Kostbares. Nicht loslassen wollen. Und es mitnehmen in die Ewigkeit.

Vielleicht hat Thielemann ähnlich empfunden. Es war sein sechster Auftritt mit den Wienern. Und die haben alles gegeben. Es muß eine an die Grenzen gehende geistige, seelische und körperliche Anstrengung gewesen sein. Für alle Beteiligten. Superlative Intensität.

Und das Dankesbedürfnis haben wir - nach langem Schweigen - mit strahlenden Augen, lächelnd, fühlend, händchenhaltend, miteinander, untereinander, ausgetauscht und aufgehoben.

Es soll auch hier aufgehoben sein.

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