zettelkasten

Freitag, 22. Dezember 2006

Jede Geschichte hat ihren Anfang.

Weshalb eine Begegnung geschieht, zwischen genau diesen Menschen zu genau dieser Stunde: wer vermag es zu sagen? Zufall ist’s und Zugefallenes wird’s, in der Achtsamkeit der beiden Begegnenden einem Sinn sich erschließend. Dem Zufall dankt die Begegnung, nicht die Last der Vorsehung tragen zu müssen, der Achtsamkeit aber, die Möglichkeiten des Zugefallenen auszuloten.

Samstag, 2. Dezember 2006

U-Bahn, nachts.

Inbrünstig kaugummikauend sitzt das Mädchen mit dem Rücken zur Fahrerkabine, was Mädchen, junge Frau eher, es ist halb eins in der Nacht, sie kramt in ihrer Tasche und tuscht sich die Wimpern mit Akribie, dabei waren die doch schon schwarz genug, das war bis zum anderen Ende des Waggons zu sehen. Dann verteilt sie noch Make Up auf den Wangen mit einem Pinsel, sieht dabei prüfend in einen Taschenspiegel, und zuletzt richtet sie die Haare, ganz schwarz sind sie, sicher gefärbt, so unnatürlich, aus dem Jackenkragen zieht sie die längeren Strähnen hervor, mit den Fingern kämmt sie durch die zuvor nach hinten gelegten Stirnfransen, zieht sie bis zu den Augen herunter.

Im Vorübergehen - wir steigen bei derselben Station aus - sehe ich die Künstlichkeit auf ihren Wangen; was von ferne so cool wirkte, wird in der Nähe zum Versuch des Überspielens einer Unsicherheit, trotz Farbe ist sie blass, die Augen blicken unruhig. Ein paar Burschen warten auf sie, kaugummikauend und schwarzhaarig auch sie, den einen begrüßt sie mit Handschlag, den Oberkörper vorgereckt, aber die Beine bleiben hinten, ganz merkwürdig unbequem vorgestreckt schwebt sie für einen Augenblick. Hand gegen Hand nach oben geschlagen dann beim zweiten, Gimme Five, eine schnelle Floskel dazu, und nun der Dritte, auch dieser Händeklatsch, aber er schlägt ihr sofort auch auf den Rücken, schnell und hart, und vorne gegen den Bauch, eine verzerrte Geste aus gespielter Maskulinität, die sie zusammenfallen lässt, ein gequältes Lächeln steht in ihrem Gesicht, auch ein Hauch von Ängstlichkeit. Nur der Kaugummi wird tapfer weitergekaut.

Ich biege ums Eck, mitten am Gehsteig vier Burschen, die so gar nicht in die Gegend passen, an dieses dreckige Ende der Grillgasse, sie sind zu gut angezogen, auch ihre Sprache ist zu gewählt. Der eine trinkt aus einer Bierdose, ein anderer hält eine große PET-Wasserflasche in der Hand, aber vor allem der Bursch mit der Flasche Hochriegl in der Hand lässt mich im Gehen innehalten - was macht ihr hier? das kann ich mir nicht verkneifen. Hier soll irgendwo eine Party stattfinden! - Ach was, hier in Simmering? - Ja hier, ein-zwei Mal im Jahr, wir werden sie schon finden; und Sie, Gnä' Frau, was machen Sie hier so spät? Mir gelingt ein Lächeln, ihre Wohlerzogenheit demaskiert, ich lebe nicht hier, sage ich, sondern in Tirol. - Bischt kha Tirola bischt kha Mensch .. kommt es sofort; Ach ja, sage ich, dann findet mal eure Party.

Wieder biege ich abe, der Gemeindebaukasten liegt fast dunkel da, nur im dritten Stock ist das kleine Licht in der Küche zu sehen, und der Heizstrahler im Badezimmer schickt sein rotes Licht herunter: das ist die Art des Vaters zu sagen, schön dass du da bist, wieder einmal, du bist willkommen ...

Dienstag, 21. November 2006

Rom im November

Die Stare bilden Schwärme über ewigen Dächern,
ziehen Muster ins milde Blau.
Spätsommerwarmer Lufthauch öffnet Mäntel und Krägen,
über den Schanigärten liegt Zigarettenrauch.
Die Orangenallee der Via Barberini verharrt noch im Blassen,
auch bei Prada stöbern die Herren in gedämpften Tönen.
Vor der Villa Hassler eine Menschentraube, d e n Blick zu erhaschen, attore famoso!
An der Fontana di Trevi sehnt man ein Nacht wie bei Elsa und Fred.
Feltrinelli, Piazza Colonna, hält bis 22 Uhr offen,
Tschaikowsky liegt, ethnisch gelistet, beim C.
Der Taschendieb im 452er greift nicht tief genug in die Hose,
ich muss an Pasolini denken und die Peripherie von Rom.
Spigola und Rombo dann, zwischen Brokatwänden und Silberbesteck
bei den alten Herren hinter der Porta Pia,
der Gavi di Gavi macht den Weg in die Nacht
zu tänzelnder Kurzweil.

Sonntag, 5. November 2006

Alma::Mater und der Pragmatismus der Plazenta*

Ein Wochenende lang plagte ich mich an einem Text, den ich vor mir sah und doch nicht greifen konnte, bei jedem Zulangen schien sich ein Gedankengang in zehn andere zu zerteilen, die Verschlingungen wurden immer mehr und waren nicht mehr zu verfolgen, die Längenvorgabe zwang mich zu einer Reduktion, die ich nicht füllen konnte mit dem, was mir wesentlich schien. Um Mitternacht gab ich auf, ließ den akademischen Aufsatz solchen sein und übergab ihn mit wenig professionellen Worten, die meine Zweifel enthielten. In einem Zustand von Erschöpfung und Niederlage versuchte ich, den folgenden warmen Sonnentag (es sollte einer der letzten gewesen sein) zuzulassen, als ein Anruf kam: Spiel noch mal damit, meinte der Chefredakteur, und nimm die Emotionen mit hinein.

Das traf. Riss mich auf. Ich sah bestürzt auf mich: hatte mich von mir selbst getrennt, in einer verständlichen Not; aber nach einer Zeit der Ruhe und des Innehaltens war ich in einer kontrollierten Haltung steckengeblieben, hatte meine Leidenschaften so gut verscharrt, dass sie nur noch in homöopathischen Zufriedenheitsbläschen emporsteigen durften, ein schrecklicher Pragmatismus, gnadenlos gegenüber der Fruchtbarkeit. Als Mutter ohnehin schon geschlagen, ja, zu oft empfand ich so, als dass ich es nicht aussprechen dürfte, mit einem Zwang zur Vernunft, der direkt aus der Plazenta zu wachsen schien, ergab ich mich einem vorauseilenden Gehorsam gegenüber vorgeblichen Kinderbedürfnissen, verlegte mich in dürftige Rationalisierungen und trank im Wein von anderen Träumen. Wieder und wieder saß und sitze ich, muttergleich und ganz Seele (wo aber, wo, die Leidenschaft?), vor den Nöten und Ängsten der Männer, werfe Ihnen Verständnis entgegen und schnüre mich selbst, als dürfe Rücksicht nie mir, sondern nur den anderen gelten.

Einen Sonntag später gelang der Text.

* Angeregt zu diesem Titel wurde ich hier,
einiges findet sich auch da. Die fast tägliche Lektüre dieser Seiten ist mir ein S p i e g e l, mit dem wider als wichtiger Stachel.

Samstag, 28. Oktober 2006

Geheimes Wortleben

Der Titel des Filmes von vorgestern legte in mir ein paar Assoziationen frei:


Wer anders als ich wüsste besser Bescheid um das geheime Leben der Worte! Ich meine damit aber nicht jenes, das sich mir, durch Bücher mitgeteilt, vor meinen Augen entfaltet, wo Sätze sich aus Büchern erheben und unter meinem Blick zu einem zweiten, mit meinen Gedanken verwobenen Leben aufbrechen – nein, ich spreche von m e i n e n Worten, den durch mich formulierten Sätzen, die sich in zahllosen Seiten von Korrespondenz niedergelassen haben und dort ein zum Heil bestimmtes, aber manchmal unheilvolles Leben begannen.

Im Anfang ist das Wort, so gehen netzgeknüpfte Beziehungsnahmen an, und das Wort schafft das Bild. Bereits mit den ersten Worten aber beginnt deren geheimes Leben, denn in der Niederschrift verwandeln sie sich von etwas Persönlichem hin zu etwas Weitergültigem. Sie neigen zur „Literarisierung“, einer Art hinterhältigem Eigenleben, denn der Mensch am anderen Ende einer unsichtbaren Leitung nimmt das Gelesene als Gesprochenes, formt daraus sein Bild und geht diesem nach. Will es greifen, doch wenn der Augenblick des Greifens da wäre, sieht er doppelt, das erlesene Bild und das geschaute. Weil aber das, was sich ihm im Wortleben so glatt und verständlich zuneigte, in diesem Augenblick zu schwinden droht, wird er jegliche Anstrengung unternehmen, um genau dieses Bildes habhaft zu werden, wird versuchen, die reibungslastige Erscheinung in dieses Bild zu biegen. Mittels Beschwörung durch geschriebenes Wort. Auch. Und so fliegen die eigensinnigen Wortleben durch den Raum, glauben sich immer und immer wieder fassen zu können, während die beiden Wortschaffenden dahinter immer fassungsloser werden.

Wer es versteht, aus einer Distanz heraus dieses Worttreiben zu beobachten, seiner Dynamik auf die Schliche zu kommen, hat eine theoretische Chance, dieses geheime Leben zuzulassen und ein paralleles dazu, das mit den Reibungen, zu entwickeln. Dann könnte etwas sehr Komplettes entstehen.

Anders aber, wenn am Anfang der Blick und die Berührung stehen und irgendwann die Worte kommen, kommen dürfen, ihr Leben mitbringen, sich nach und nach einfügen: dann bewirken sie ein Öffnen, bringen einer verkarsteten Landschaft ein vorsichtiges Blühen.


Edit: Dann kann es geschehen, dass die Schreibende zur Erzählerin wird, die Bilder mit ihren Blicken und ihren Gesten färbt, eine unmittelbarere Gestaltgebung, die sich einer daraus entstehenden Erotizität verbindet.

Donnerstag, 26. Oktober 2006

Die Wanderung

In der Früh sah ich hinauf, wo ich 2 Stunden später stehen würde.
Dazwischen gab es eine Wanderung, keine wirkliche Besteigung, eher einen Spaziergang - aufgrund einer nachmittäglichen Verabredung beim Filmatelier in Thiersee nahm ich den Berg von hinten: eine breite Forststraße zunächst, die Alm weiter oben verfügt über eine Luxuszufahrt, die Wanderer aber nehmen den Steig, der geradlinig die Serpentinen quert und auch etwas an Steigen abverlangt. Aber weit war's nicht. Oben dann gab es den Blick in die Tiefe, dorthin, von wo aus ich wenig zuvor heraufgeblickt hatte; vor allem aber gab es den Blick in die Weite, der mich zu einem Zeitpunkt öffnete, wo ich wieder einmal an der Enge des Tales und der Enge der Köpfe, die darin sind, zu scheitern drohte.

Im Anstieg war mir der Traum der letzten Woche wieder vor Augen, diese fremde Wohnung, die ganz in Orange zu leuchten schien, die ich zu hüten hatte für die auf Reisen gegangenen Besitzer. Meine Kinder waren wohl mit gekommen, aber nicht sichtbar - aber es gab noch andere W e s e n, auch Kinder?, die zurückgelassen worden waren, und ich w e i ß, dass ich sie getötet habe, es schien etwas zu sein, das ich tun m u s s t e, auch wenn es keine Spuren gab. Genausowenig kann ich mich an Emotionen erinnern, da waren nur diese nackten Erdstellen an einem schattigen Platz im Garten, wie kleine Gräber. Aber es war ein Gefühl von S c h u l d da, ich erwartete jederzeit das Eintreffen der Polizei, wollte achtsam sein, fluchtbereit. Doch dann hatte ich mich in irgendeiner Tätigkeit verzettelt, und als ich noch schnell in die Schuhe schlüpfen wollte, weil ich Autos vorfahren sah, und bei der Hintertür hinaus, was es schon zu
spät und die Uniformierten im Raum. Aber nichts geschah, alles blieb ruhig, die Herren zogen wieder ab, stellten keine Fragen. Etwas später kamen die Wohnungsbesitzer zurück, sahen um sich, mit fragenden Blicken, auf einem Stuhl lag ein weißes gehäkeltes Babyhäubchen, aber Fragen kamen nur zu den fehlenden Skulpturen im Garten; tatsächlich waren da zu Beginn eine ganz große Figur vor der Terrassentür gewesen und kleinere Objekte im Rasen, nun war alles weg, ich musste eine schlüssige Erklärung gehabt haben, die mir aber beim Aufwachen ebensowenig wiederkam wie andere Details.

So lag ich nun da und konnte nichts festmachen, fand keine Bezüge, es gab eine Schuld und keine Sühne, nur etwas Verscharrtes im Garten, das ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Die ungeborenen Kinder, kam heute ein Gedanke. Allerdings musste ich nun, im Gehen, an die Diskussion zur Vergana denken, an die Schwierigkeit, mit solch mystischen Bezügen zurechtzukommen, die zugleich eine prekäre Beziehung widerspiegeln; was da wohl an Ängsten aufstieg, gegenüber eigenen Abgründen!

Als ich die Vergana das erste Mal gehört hatte, geschah dies in einer für mich unangenehmen Umgebung, obwohl eingebunden in den Rahmen von Literaturtagen - aber vielleicht bin ich nur so empfindlich. Die Unruhe draußen auf der Terrasse drang durch die großen Fenster, eine Beschattung tat sich mit dem Wandern der Wolken immer auf und zu, eine Rückkoppelung am Mikrofon verursachte Nervosität bei einer der verantwortlichen Literaturdamen, ihr betont unauffälliges leies Tappen war lauter als das weghörbare gelegentliche Gepiepe. Ein Text aber, der im Vortrag gerade einer deutlichen Nuancierung bedarf, verlangt nach einer Atmosphäre aufmerksamer Ruhe. Dennoch geriet ich in eine Stimmung von anhaltender Spannung, aus der ich nicht entlassen werden wollte, war in eine Parallelwelt versetzt.

Während ich auf der Terrasse in 1500 Metern Höhe saß, geradewegs zum Großglockner blickte und dieses hier festhielt, glitt plötzlich eine großer Rabe vom Dach, kreiste über den Köpfen der Wanderer, verharrte stehend in der Luft, den Kopf gesenkt, und mir war, als käme er direkt aus jener Welt.

Den Weg hinab nahm ich dann doch über den Forstweg: um die Knie zu schonen. Auf der Abseite vom Inntal blieb die Autobahn weg, die sonst bis ganz in die Höhe drang, es war plötzlich still. Die Landschaft schien in dieser Ruhe zu verharren, die Lärchen in einem dahingehenden Grün, die Tannen und Fichten ungerührt aufrecht, als wollten sie alle Wärme und Stimmung dieser Tage speichern - bald schon konnten kalte Winterstürme über sie hinwegfegen. Weiter unten, wo sich das Siedlungsgebiet wieder zusammenfügte, lag eine farbberauschte heitere Gelassenheit über den Wiesen und Rainen, das Kuhglockengeläut eine flirrende Klangkulisse. Viel später saß ich dann noch am Wasser, bis die Sonne ganz in der Senke verschwunden war. Ich war nicht allein, und es war wunderschön.

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ConAlma - 2011-10-07 11:40
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sang und klanglos :-(
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