Donnerstag, 27. Juli 2006

Der Pavillon, Innsbruck: Tiefgaragenaufgang mit Gourmetküche.

Der neue Glaskubus vor dem Landestheater unterbricht den Übergang des festen Platzes in den Hofgarten. Oder schließt das Gebäudeensemble mit einem architektonisch markanten Stück angewandter Geometrie ab, trennt Stadt von Natur - je nach Sichtweise.

Auf jeden Fall wirkt er zunächst wie eine überdimensionierte Überdachung des Tiefgaragenaufgangs, eine Glas-Stahlkonstruktion in Würfelform, halb- und ganz transparent. Der Aufgang ins Restaurant ist nur bedingt vorne, durchs Café, das sich mit einer großen Terrasse weit in den Raum des Platzes erstreckt. Er ist eigentlich auf der Seite versteckt, und hier liegen die - wenn auch einzigen - Schwachpunkte des Objektes: der Tiefgaragenauf- und abgang eben, der zugleich Restaurantaufgang ist, und das WC, das im Souterrain befindlich ist, wunderschön in Rottönen designt, aber eben auch öffentlich, und vom Lokal im ersten Stock nur durch dessen Verlassen erreichbar. Aber das war es dann auch schon an Kritik, denn:

Mit dem Betreten des ersten Stockes wird die vor allem im Sommer touristisch geprägte Welt des Platzes zwischen Hofburg und Landestheater verlassen. Es öffnet sich ein sich abgeschlossener Raum, der durch das Glas rundum zwar den Blick freigibt auf das Rundherum, aber gleichzeitig abgeschottet ist von allem und den Gast ganz in seiner wohnzimmerartige Retro-Atmosphäre hineinzieht. Niedrige Fauteuils in rostrot, sonst Braun- und Beigetöne, klare, geradlinige Formen, und nur der Teppich, wenngleich farblich harmonisch, darf mit einem verschlungenen 50-Jahre-Muster den spielerischen Kontrapunkt setzen. Die Weinklimaschränke sind in niedrigen Sideboards untergebracht, die Musik plätschert angenehm nebenher - Songs von Country bis Jazz - und unterstreicht das angenehme Lounge-Feeling.

Mit dem Aperitif kommt ein erster Gruß aus der Küche, noch bevor Einblick in die Speisenkarte genommen wurde: Gazpacho mit Flusskrebstatar, das Krebsenklein versenkt im eiskalten, erfrischenden Süppchen von angenehmer Schärfe, dazu ein Stück Nussfocaccia mit Bärlauchpesto. Man ahnt, dass da noch Aufregenderes folgen sollte.
Dann die Karte, klein, zwei Menüvorschläge, einmal 6, einmal 5 Gänge. Sehr teuer. Aber erlesene Zutaten, auch das ist erkennbar. Erst einmal das zweite Amuse bouche: Vitello tonnato, zwei kleine kreisrund ausgestochene Kalbfleischscheiben auf Thunfischsauce, ordentlich, aber nicht besonders, auch das Paprikaöl dazu noch nicht, aber die Wildwassergarnele! Einfach perfekt. Das Brot in der geflochteten Schale ein bisschen zu sehr nach zugekauft aussehend; die "Früchtebutter", gesalzen, mit Stückchen von Trockenfrüchten versetzt, wiederum ein witziger Akzent.

Und dann entfaltet sich Gang um Gang eine unerwartet mitreissende, sehr persönliche mediterrane Küchenlandschaft, in die feine orientalische Noten geraten: Küchenchef Mansur Memarian ist gebürtiger Perser, ausgebildet in Deutschland, seit kurzem in Innsbruck: perfekte Rohstoffe, eine wunderbare Hand für Gemüse und Früchte - was sich da an Eigengeschmäckern tummelt, nicht zugedeckt von vordergründigen Würzungen, sondern vielmehr von unten her gestützt, somit leicht fassbar, und dabei noch in ganz faszinierenden Konsistenzen, ist beeindruckend; ja überhaupt die Konsistenzen, der geschmolzene Adour-Wildlachs etwa, der zerfloss auf der Zunge, das sind Erlebnisse am Gaumen, die auch eine routinierte Esserin staunen machen.

Zum Wildlachs Wasabicreme: eher ein feinstgehacktes Tatar von der Wasabinuss, wenn schon, und im Cocktailglas dazu ein leichtes Hummerschäumchen, sehr dezent im Aroma, und wieder kontrapunktisch knackende Stücke von der Wasabinuss darin. Das Clubsandwich vom heimischen Milchkalb: zwischen hauchdünnen Strudelblättern geradezu schmelzende Stücke vom Kalb, von der Wange? mit Stücken geschälter Datteltomaten und fein mariniertem Friseesalat, ein Streiferl Lardo darübergelegt: eine köstliche Interpretation, stilistisch einwandfrei zum Ambiente passend. Und dann einer der Glanzpunkte, ganz schlicht, ganz perfekt: Erbsenschaumsuppe mit Minzcracker. Der Cracker wieder ein hauchdünn knisterndes Teigstück, mit feinen Streifen von frischer Minze hineingebacken - so Einfaches vermag Leuchten in den Augen zu bewirken. Die Suppe: leicht, subtil, mit frischen, kaum gegarten Erbsen, die wiederum den Biss ins Gericht bringen.

Und weiter im Menü, und ich verharre nur bei den Highlights: zum glacierten Stubenkücken das Avocadocouscous: feinkörnig, darauf eine feinsäuerliche Avocadocreme, dazwischen noch drapiert leichtfüßige Gurkenbutter, drei hauchdünne Stücke wilden Spargels mit großer Geschmacksintensität geometrisch angeordnet. Die Wildkräuter-Mandelkruste auf dem St.Pierre: ein rechteckiger Streifen an dunkelgrüner fester Creme auf dem saftigen Fischstück, Aromenintensität für sich, darunter die Eierschwammerl, vornehm Pfifferlingspanaché genannt, reichlich, das einzige sehr würzige Gericht, das aber die Würze aus seinen Zutaten bezieht. Das Hereford-Rindsfilet: Fleisch untadelig, die Besonderheit aber wieder bei den Gemüsen: Miniwürferl vom roten Paprika in absoluter geschmacklicher Paprikapurezza, aufdressierte Streifen von Zucchinipüree, dunkelgrün (von den Schalen?) - was da herausgeholt wird aus den sonst faden Früchten, ist enorm. Und der Auberginenauflauf, als ein Tortenstück auf das Filet getürmt: mit geschlossenen Augen die ideale Parmigiana di melanzane!

Nach und nach wird klar, worum es hier geht: Herr Memarian ist ein Meister der Konsistenzen, er spielt gekonnt mit diesbezüglichen Gegensätzen, holt aus natürlichen Produkten den ureigenen Geschmack hervor, ein wenig zu Lasten einer Gesamtgerichtintensität, aber darin liegt dadurch noch einiges an Potential. Und der Umgang mit Gemüsen und Früchten ist sensationell, nicht oft so zu finden, wenn die Grundprodukte nicht so toll wären, könnte man glatt auf Fisch und Fleisch verzichten. Aber vielleicht gibt es ja einmal kleine Gemüsemenüs, wenn dann im Herbst, wie angekündigt, in Kooperation mit dem Landestheater 3 Gänge vor und 2 Gänge nach der Vorstellung für ein Rundumgesamterlebnis an diesem Ort sorgen werden.

Das Dessert noch
: Tahitisorbet im Catalanaschaum mehr eine sprachliche denn geschmackliche Angelegenheit, feinsäuerliches Sorbet in luftigen Vanilleschäumchen versenkt, Tahiti steht für die gleichnamige Vanille, und das Katalanische kommt von kurzem Überflämmen. Aber die "Beilage": Aprikosen-Zitrusragout! diese Marillenkonsistenz - himmlisch! Der zarte Zitrusgeschmack, mit dunkelroten Zesten von der Blutorange ins fast Pikante verstärkt. Ein würdiger Abschluss. Die Präsentation auf dem edlen Geschirr in weisser Formenvielfalt ist wunderschön, man kann eine den geometrischen Formen rundum entsprechende Neigung zu Quadern, Rechtecken, Kreisen und Zylindern in Aufbau und Gestaltung der Gerichte finden.

Wein gibt es auch: Eine umfangreiche Karte, einige Magnums, viel Österreich, viele große Namen, aber auch Italien, Frankreich, neue Welt. Man hat das Gefühl, dass hier ein Team am Werk ist, das das behäbige Innsbrucker Gastroleben gehörig auf den Kopf stellen wird. Irgendwie vom Konzept her ein Schritt in Richtung Weltstadt.

Restaurant Der Pavillon, Innsbruck.
Der Küchenchef.

Innsbruck, nachts.

Ich habe einfach den Zug versäumt.
Ich war essen, eine fulminante Neuentdeckung (aber das ist eine andere Geschichte, die noch zu schreiben ist) und stand offenbar so unter dem Eindruck des Erlebten, dass ich am Bahnhof, wiewohl zeitgerecht, die Abfahrtstafel nicht richtig las. So saß ich auf Bahnsteig 6 und wartete. Nebenan eine Gruppe junger Amerikaner, auf den Zug nach Italien wartend. Der 30 Minuten Verspätung hatte. Ich sah auf Gleis 5 einen Zug abfahren ... und ein paar Minuten später musste ich erkennen, dass dies der meine gewesen wäre. Also gut 50 Minuten weitere Wartezeit bis zum nächsten, nach halb eins.

Innsbruck in einer Mittwochnacht mitten im Sommer, wenn zunächst schwere Gewitterwolken und ununterbrochene Blitze sowie ein heftiger Sturm die zuvor so zahlreich flanierenden Menschen aus den Straßen vertrieben haben, ist eine stille Stadt. Die Lokale um zehn vor zwölf schon zu, nur das Treibhaus, das hielt noch bis ein Uhr aus. Der Garten wurde allerdings auch pünktlich geschlossen.

Bei einem Achtel sehr passablen Schankweins vom Tschida um flotte € 1,70 sitzend, der Blick in die weitläufige Hinterhofgartenlandschaft zwischen theologischer Fakultät, Bundesgymnasium und Volksschule Stadt gerichtet, dachte ich mir: ganz unvorstellbar sei es, dass jemals der Tag einträfe, wo ich Lokale dieser Art, die es so irgendwie schon zu meinen Studentenzeiten gegeben hatte, die freilich mitgegangen sind mit der Zeit, in gastronomicher Hinsicht, im Styling, und doch immer noch dieselbe Atmosphäre aufwiesen, wenn ich also solche Lokale nicht mehr betreten könnte, ohne unpassend auffällig zu sein.

Eine athletische junge Frau in schwarzem Ruderleiberl und obligat tiefsitzender Jean wanderte mit Blechgießkanne unermüdlich zu den Trögen mit Oleandern und anderen Pflanzen, damit sie über den nächsten sonnigen Tag kämen, die jungen Menschen hatten sich anstandslos freiwillig vom Garten ins Innere des Lokals zurückgezogen, alles war friedlich.

Der Zug, dann endlich, nach Hause, war mühsam: mit dem wunderbaren Namen "Landesausstellung Kohle und Dampf" versehen, nur zwei Sitzplatz-Waggons, der Rest Liege- und Schlafwagen. Ziemlich voll. Die meisten möglichen Sitzplätze mit Schlafenden, größzügig quer liegend, belegt.

Nach wenigen kurzen Notizen schlief ich ein, um rechtzeitig in Wörgl zu erwachen, wo mein Auto wartete. Denn nachts ist Kufstein nicht mehr direkt erreichbar.

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uferlos - 2011-10-08 00:28
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lasst mir noch ein bissl zeit. vielleicht gibt es ein...
ConAlma - 2011-10-07 11:40
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rinpotsche - 2011-10-07 00:37
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