Wildes Wetter

Die Atmosphäre ist spannungsgeladen. Über dem Stubai leuchtet das wenige noch sichtbare Blau umso intensiver, je dichter sich schwarze Wolkenbänke über der Nordkette zusammenballen. Der sommerwarme, stürmische Wind wirkt in diesem Lichtspiel bedrohlich, als lauere unmittelbar hinter ihm der schreckliche Biß der Kälte.

Eine Wildheit, ungreifbar, wirbelt sich in die abendlichen Abläufe der Stadt, die Menschen blicken fast staunend, ja, sie schauen, wo sie sonst im Alltäglichen gefangen sind. Die Waggons des ICE sind in eigenwilliges Licht getaucht, eine Erwartungshaltung ist zu verspüren, als wären alle offenen Fragen zusammengeworfen und in diesen Zug gelegt worden. "Aufgrund eines Unwetters im Raume Jenbach kann dieser Zug bis auf weiteres den Bahnhof nicht verlassen" tönt es da plötzlich aus den Lautsprechern, die Strecke sei unterbrochen, wird etwas später nachgesetzt, ein Arbeitsteam sei dran, wieder etwas später, alles in brüchigem Tonfall, die Sätze mühsam zusammengestoppelt mit vielen Pausen, wo nach Formulierungen gesucht wird, so stockend vermag ich's gar nicht niederzuschreiben.

Da und dort wird Nervosität laut, ich bin unter denjenigen, die in den Speisewagen wechseln, das Bordrestaurant hat gute Weine in Kleinflaschen, das weiß ich. Robert Weil Riesling, und Zeit, endlich durch die mitgeführte Weinzeitschrift zu blättern. Nach einer Stunde ein nach wie vor düsteres Bild vom Streckenzustand, weiteres Wareten auf unbestimmt, die Zuggäste beginnen miteinander zu reden. Irgendwann wird eine mögliche Zeit für die Abfahrt genannt, zweieinhalb Stunden nach der Planzeit, das nehmen die einen mit Heiterkeit, die anderen mit Resignation. "Ein Schienenersatzverkehr ist angedacht", aber bis wohin müsste der gehen, der Zug soll nach Wien, wie kommt eine gleichwertige Garnitur nach - sagen wir Brixlegg für die Weiterreise? Die Kellner des Speisewagens rechnen ab, machen dicht, lassen die Rollos herunter, sperren ab. Sie verlassen das sinkende Schiff!" ruft einer; ein anderer beginnt zu telefonieren, er habe ein Auto, sagt er, Sie sind auch aus K.?, ich nehme Sie mit!.

Eine Fahrgemeinschaft der Not, vier Fremde, die aber jemanden kennen, der wieder den einen oder die andere kennt, und so wird die Fahrt durch die mittlerweile wieder ruhige Nacht zu einer ausgelassenen Kurzweil, der Linguist und Rhetorikforscher liefert den interessantesten Beitrag: irgendwie kommt das Gespräch auf Afrika, auf die vielen nachkolonialen Staaten und ihre schwierigen Grenzziehungen, um die Unruhen geht es, die Bürgerkriege und die Geldflüsse. Und so kommen wir auch zu den so lange Zeit grassierenden Mails mit Verführung zur Geldanlage; er habe sie zu sammeln begonnen, sagt der Linguist, einige Hundert kamen so zusammen, und er habe die Systematik dahinter untersucht. Auf drei Motive sei er gestoßen: die Habgier-Masche, die mit dem Mitleid und die religiöse Tour. Immer wieder ähnliche Satzbausteine, neu zusammengesetzt, einmal muss jemandem die Kontrolle entglitten sein, da berichtete eine Frau von ihrer bevorstehenden Prostataoperation.

Ich hätte diesen Abend nicht anders haben mögen. Daheim fand ich in der Post eine Einladung zur Sünde in durchdachter Aufmachung: durchs halbtransparente Kuvert sah man nur das Wort Sünde und eine rote Samtschleife. Verführerisch und: Terminkollision.

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I saw a hope in the game. sex doll
ulovesexdoll - 2018-12-13 06:51
Wow, ich mag das Licht...
Wow, ich mag das Licht und die Anzüge! Vokalmusik ist...
karrri - 2014-06-24 12:18
einfach nur schön finden...
einfach nur schön finden geht auch
uferlos - 2011-10-08 00:28
lasst mir noch ein bissl...
lasst mir noch ein bissl zeit. vielleicht gibt es ein...
ConAlma - 2011-10-07 11:40
Was gab's denn so wichtiges...
Was gab's denn so wichtiges anderswo?
rinpotsche - 2011-10-07 00:37
!
!
books and more - 2011-10-07 00:30
sang und klanglos :-(
sang und klanglos :-(
profiler1 - 2011-10-06 21:55
Erwischt... und Sie fehlen...
Erwischt... und Sie fehlen...
katiza - 2011-10-06 10:34

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