Sonntag, 14. September 2008

Für die Jahre

Ich schenke dir
meine Zukunft
dass dir Gegenwart sei
aus Lebendigkeit, Nähe und Feuer
und keine Vergangenheit
dein Leben frisst.

Samstag, 13. September 2008

Wildes Wetter

Die Atmosphäre ist spannungsgeladen. Über dem Stubai leuchtet das wenige noch sichtbare Blau umso intensiver, je dichter sich schwarze Wolkenbänke über der Nordkette zusammenballen. Der sommerwarme, stürmische Wind wirkt in diesem Lichtspiel bedrohlich, als lauere unmittelbar hinter ihm der schreckliche Biß der Kälte.

Eine Wildheit, ungreifbar, wirbelt sich in die abendlichen Abläufe der Stadt, die Menschen blicken fast staunend, ja, sie schauen, wo sie sonst im Alltäglichen gefangen sind. Die Waggons des ICE sind in eigenwilliges Licht getaucht, eine Erwartungshaltung ist zu verspüren, als wären alle offenen Fragen zusammengeworfen und in diesen Zug gelegt worden. "Aufgrund eines Unwetters im Raume Jenbach kann dieser Zug bis auf weiteres den Bahnhof nicht verlassen" tönt es da plötzlich aus den Lautsprechern, die Strecke sei unterbrochen, wird etwas später nachgesetzt, ein Arbeitsteam sei dran, wieder etwas später, alles in brüchigem Tonfall, die Sätze mühsam zusammengestoppelt mit vielen Pausen, wo nach Formulierungen gesucht wird, so stockend vermag ich's gar nicht niederzuschreiben.

Da und dort wird Nervosität laut, ich bin unter denjenigen, die in den Speisewagen wechseln, das Bordrestaurant hat gute Weine in Kleinflaschen, das weiß ich. Robert Weil Riesling, und Zeit, endlich durch die mitgeführte Weinzeitschrift zu blättern. Nach einer Stunde ein nach wie vor düsteres Bild vom Streckenzustand, weiteres Wareten auf unbestimmt, die Zuggäste beginnen miteinander zu reden. Irgendwann wird eine mögliche Zeit für die Abfahrt genannt, zweieinhalb Stunden nach der Planzeit, das nehmen die einen mit Heiterkeit, die anderen mit Resignation. "Ein Schienenersatzverkehr ist angedacht", aber bis wohin müsste der gehen, der Zug soll nach Wien, wie kommt eine gleichwertige Garnitur nach - sagen wir Brixlegg für die Weiterreise? Die Kellner des Speisewagens rechnen ab, machen dicht, lassen die Rollos herunter, sperren ab. Sie verlassen das sinkende Schiff!" ruft einer; ein anderer beginnt zu telefonieren, er habe ein Auto, sagt er, Sie sind auch aus K.?, ich nehme Sie mit!.

Eine Fahrgemeinschaft der Not, vier Fremde, die aber jemanden kennen, der wieder den einen oder die andere kennt, und so wird die Fahrt durch die mittlerweile wieder ruhige Nacht zu einer ausgelassenen Kurzweil, der Linguist und Rhetorikforscher liefert den interessantesten Beitrag: irgendwie kommt das Gespräch auf Afrika, auf die vielen nachkolonialen Staaten und ihre schwierigen Grenzziehungen, um die Unruhen geht es, die Bürgerkriege und die Geldflüsse. Und so kommen wir auch zu den so lange Zeit grassierenden Mails mit Verführung zur Geldanlage; er habe sie zu sammeln begonnen, sagt der Linguist, einige Hundert kamen so zusammen, und er habe die Systematik dahinter untersucht. Auf drei Motive sei er gestoßen: die Habgier-Masche, die mit dem Mitleid und die religiöse Tour. Immer wieder ähnliche Satzbausteine, neu zusammengesetzt, einmal muss jemandem die Kontrolle entglitten sein, da berichtete eine Frau von ihrer bevorstehenden Prostataoperation.

Ich hätte diesen Abend nicht anders haben mögen. Daheim fand ich in der Post eine Einladung zur Sünde in durchdachter Aufmachung: durchs halbtransparente Kuvert sah man nur das Wort Sünde und eine rote Samtschleife. Verführerisch und: Terminkollision.

Mittwoch, 10. September 2008

Es gehen die Teilchen auf Reisen ...

Hübsches Liedchen war das damals, als es Adamo sang.

Was dabei rauskommt, wenn ab sofort nicht Tränen, sondern Teilchen auf Rundreise im Large Hadron Collider geschickt werden und "aufeinanderkrachen" dürfen, ist ungewiss: größter Medienrummel ist allerdings gesichert. Und von kleinen schwarzen Löchern bis zum großen Weltuntergang wird alles befürchtet.

Und Kate rappt mittendrin.

Dienstag, 9. September 2008

Mimi und Charlie

Mimi und Charlie waren unzertrennlich. Er war der Charmeur, einer, der stets abenteuerlustig durchs Leben ging. Mimi war die Schöne, die Vornehme, die Kluge, die Intelligente, die immer die Zahlen im Griff hatte, für jene Struktur sorgte, vor deren Hintergrund sich ein reisefreudiges Leben entfalten konnte. Kinder hatten sie keine, mit den Jahren wurde das Leben ruhiger, aber die Wohnung war immer offen für Freunde, für große Abendessen. Dann saß Charlie eines Tages im Rollstuhl, ein Beinleiden. Er wurde still und nur an den Tagen, wo er sein so gewordenes Leben nicht mitansehen konnte, laut. Zwei Jahre lang kümmerte sich Mimi um ihn, auch wenn ihr eigener körperlicher Zustand zunehmend beschwerlich wurde, sie lebten zurückgezogen, belastet von der Unbeweglichkeit, auf eine ungewollte Art ineinander verstrickt.

Dann starb Charlie und mit ihm starb Mimis Orientierung. Weder die Treffen mit den alten Schulfreundinnen noch das Organisieren der täglichen Kleinigkeiten noch die stundenlangen Telefongespräche mit entfernten Freunden konnten ihr den geliebten Mann ersetzen. Keine Kinder, keine Verwandten, niemand, der nachsieht. Allein hinter vier Schlössern und Riegeln - als sie einmal stürzte und aus eigener Kraft nicht mehr hochkam, dauerte es zwei Tage, bis die Feuerwehr die Tür aufbrach, nachdem die zwei Mal pro Woche kommende Aufräumfrau Alarm geschlagen hatte.

Mit jedem Tag gleitet sie mehr in die Demenz. Charlie kommt nicht heim, weil er bei einer Freundin schläft, sagt sie, Besorgnis in der Stimme. Und zweifelnd nimmt sie das Sterbedatum auf dem Grabstein zur Kenntnis, der ihr vor nicht mal einem Jahr so viel Kopfzerbrechen bereitet hat. Der Hirsch hat sie zum Friedhof begleitet, er ist spontan zu Mimi gefahren, als die Telefongespräche sich immer beklemmender anhörten, Charlie war sein bester Freund gewesen. Selbst nur wenige Geburtstage von Mimis Alter entfernt, trifft ihn, den Alterlosen, diese Escheinung von Alter zutiefst. Und die Hilflosigkeit angesichts der störrischen Dame, die keine Hilfe zulässt, macht ihm, der gewohnt ist, Entscheidungen zu treffen, Dinge zu bewegen, besonders zu schaffen.

Ich rätsle über die seltsamen Wege, die der Geist eines Menschen in seinem Schmerz geht: den geliebten Mann lieber lebendig bei einer andern wissen als tot im Grab.

Mimi 2
Mimi 3

Samstag, 6. September 2008

Herzzeit

Von den Sehnsuchtspaaren, meinen persönlichen Mythen, waren mir Ingeborg Bachmann und Paul Celan das verwunschen nächste, ihrem Miteinander war nur in Gedichten nachzuspüren. Nun gibt es deren Briefwechsel editiert - er steht ganz oben auf meiner Wunschliste.

Ich habe oft nachgedacht, "Corona" ist Dein schönstes Gedicht, es ist die vollkommene Vorwegnahme eines Augenblicks, wo alles Marmor wird und für immer ist.
Zitiert aus der Zeitung Volltext

Aus der Hand frißt der Herbst mir sein Blatt: wir sind Freunde.
Wir schälen die Zeit aus den Nüssen und lehren sie gehn:
die Zeit kehrt zurück in die Schale.

Im Spiegel ist Sonntag,
im Traum wird geschlafen,
der Mund redet wahr.

Mein Aug steigt hinab zum Geschlecht der Geliebten:
wir sehen uns an,
wir sagen uns Dunkles,
wir lieben einander wie Mohn und Gedächtnis,
wir schlafen wie Wein in den Muscheln,
wie das Meer im Blutstrahl des Mondes.

Wir stehen umschlungen im Fenster, sie sehen uns zu von der Straße:
es ist Zeit, daß man weiß!
Es ist Zeit, daß der Stein sich zu blühen bequemt,
daß der Unrast ein Herz schlägt.
Es ist Zeit, daß es Zeit wird.

Es ist Zeit.

Freitag, 5. September 2008

diese lauen nächte

diese lauen nächte
atmen mir
einen sommer zurück
der mir nicht war



almbluete

My Home is a Wildnis

Zoe, die gar nicht sanfte Weiße, hinterlässt gern Spuren der Nacht:



Normalerweise sind es Federhäufchen.

Donnerstag, 4. September 2008

Streiche gestrichen

Den Buben ist langweilig, die Sommernacht ist zu schön oder zu kostbar, um sie mit Schlafen zu verbringen. Sie nehmen das alte Rad, strampeln zu zweit drauf hinauf zur Videothek, um sich noch einen Film aus dem Automaten zu drücken. Blöderweise ist es zwei Uhr morgens, sie sind unter 16, und das Rad ist nicht beleuchtet. Natürlich patrouilliert just in dem Augenblick ein junges Polizeibeamtenpärchen in der Gegend. Teil eins der Amtshandlung: sofortige Alkoholkontrolle. Nix. Teil zwei: Für die vorschriftswidrige Radbenutzung werden gleich 10 € abgeknöpft. Es gibt kein verwarnendes "Schaut's, dass ihr heimkommt's, und schiebt's das Radl!", sondern Anzeige wegen Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz, Vorladung auf die BH. Teil drei: Straffestsetzung oder, im Erstfall, Gespräch beim Jugendschutzberater mit nachfolgender Tilgung des Vorfalles. ("Nett woa'r'a" ist der Kommentar des Sohnes nach Absolvierung des Gespräches.)

Selbst wenn ein "väterlicher" Polizist dabei gewesen wär: so wie noch vor 10 Jahren vieles untereinander geregelt wurde, ist dies heute nicht mehr möglich, sagt uns der Beamte auf der BH, die stillschweigende Holzentwendung beim Tischler zwecks Baumhausbau, die einer seiner eigenen Jugendstreiche war, wäre nicht mehr mit einer Strafpredigt und der Ersetzung der Kosten vergessen. Das Untatenregister der Jugendlichen wächst und wächst, da sind auch solche Harmlosigkeiten wie die geschilderte dabei, es wird nicht nur alles überwacht und kontrolliert, sondern auch gleich an die nächste Instanz weitergegeben, ungeachtet des Inhaltes.

So ist das halt jetzt, sagt der Mann auf der BH; ich aber wunder mich ob der Provokation auf der einen Seite - Beschneidung von Freiraum, Kriminalisierung von dem, was einst Bubenstreiche hieß - nicht über die Provokation auf der anderen Seite: bewusstes Übertreten von eng gesteckten Grenzen, eine Haltung des Wennschon-Dennschon, keineswegs mehr harmlos. Der Freund, der schon seit 40 Jahren dem Jugendlichen-Status entwachsen ist und noch immer am liebsten zu zweit auf dem unbeleuchteten Fahrradl durch den Autotunnel bergab rast, provoziert noch immer gern - welche Ahndung wäre ihm im Falle des Erwischens gewiss?

Mittwoch, 3. September 2008

Alles was geschieht ...

Lasset sie gospeln!



Gut, dass man gemeinsam mit früheren Helden alt wird.

Siehe dazu auch hier.

Überflüssiger Firlefanz

...doch im Augenblick des Sehens unverzichtbar:

firlefanz2

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uferlos - 2011-10-08 00:28
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ConAlma - 2011-10-07 11:40
Was gab's denn so wichtiges...
Was gab's denn so wichtiges anderswo?
rinpotsche - 2011-10-07 00:37
!
!
books and more - 2011-10-07 00:30
sang und klanglos :-(
sang und klanglos :-(
profiler1 - 2011-10-06 21:55
Erwischt... und Sie fehlen...
Erwischt... und Sie fehlen...
katiza - 2011-10-06 10:34

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