Einundzwanzig Uhr, Bahnhof. Ich sollte der Tochter noch Schuljause für den nächsten Tag besorgen. Im Supermarkt - nicht irgendeiner, sondern der literaturaffine - überfiel mich vor dem Kühlregal plötzliche Fleischeslust. Tiroler
Jahrling gibt's nicht immer und überall, ist nur wenigen Plätzen vorbehalten.
Teil 1 des Stückes wurde zu zartem Tartare gehackt, Teil 2 zierte, kurzgebraten, das Topinamburgröstl, und da die sardischen Paradeiser auch noch aufzubrauchen waren, wurden sie (Achtung, Speisekartenpoesie!) als
karamellisierte und mit Lavendel parfümierte dazugelegt. Weiteres Restl aus der gestrigen Flasche: Roter Veltliner aus Hohenwart.
ConAlma - 2008-11-28 14:27
Ganz ehrlich, ich wusste nicht, dass
Claude Lévi-Strauss noch lebt. Heute wird er 100. Das ist für einen, der sagt:
Ich bin fest davon überzeugt, dass das Leben keinen Sinn hat, dass nichts irgendeinen Sinn hat*, schon eine beträchtliche Zeitspanne. Eine ausgefüllte zudem.
Nehmen Sie Ihr Leben nicht so persönlich, sagte der Kommissar in einem Fernsehkrimi unlängst
, das Leben kommt auch ohne Sie aus. Je mehr ich sinniere, umso friedlicher stimmen mich diese Zitate.
* zitiert nach Cicero
ConAlma - 2008-11-28 08:10
Das wintermilde Licht steht diesem Tage gut.
Der letzte Blätterwirbel, schwarzbraun,
verkündete vor Tagen schon den Abschied von den Farben.
Ja, selbst die Lärchen dämpfen wie mit einem Schleier ihr eben noch so ungestüm getragenes oranges Kleid.
Die Sonne hält sich, fahles Gelb, von ungeziemem Hell zurück,
lässt nur den Fluss smaragdgrün schimmern
und nimmt die sanfte Decke schneegetränkter Wolken
mit mildem Lächeln dankbar an.
Heute morgen auf dem Weg zur Arbeit gesehen.
ConAlma - 2008-11-24 21:08
A., en-passant-Geliebter aus dem Zufallsgenerator des Netzes, hatte sich damals das tägliche Gedicht zum Neujahrsvorsatz gemacht. In diesem November habe ich derer drei - die
Wurfgedichte-Aktion des Standard beschert Wiederlesen (Peter Waterhouse etwa), Neufinden (Oswald Egger zb) und Lachen wie heute, wenn Brigitta Falkner, die ich im Mai bei den Literaturtagen Salzburg gehörtgesehen hatte, ihr
Prinzip-i-Filmclip auslegt.
Aber so gut wie täglich lese ich eigentlich
hier.
ConAlma - 2008-11-21 21:41
So kam es mir nun abhanden, willentlich wohl, und doch ward es irgendwie verloren. Eine Klavierspielerin ist ja nie aus mir geworden, doch es war mein Wunschinstrument gewesen. Nur hatten sie damals, an der Städtischen Musikschule, mich als "zu alt" fürs Instrument eingestuft, die Schwester, zwei Jahre jünger, aber durfte. Mir wurde die Violine zugewiesen; erst viele Jahre später, als wir darüber sprachen, sagte sie, sie hätte wohl viel lieber Geige gelernt. So hatte ich mir das Klavierspiel selbst beigebracht, den Baßschlüssel für die linke Hand, mit dem Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach. Die zwei Jahre Unterricht dann viel später waren eine Zeit der Nötigung, aber das lag an persönlicheren Umständen als der des Unterrichtnehmens.
Es gab Jahre, da spielte ich gar nicht, hatte kein Instrument zur Verfügung; als die Älteste dann lernen wollte, wurde eins angeschafft, das ist auch schon viele Jahre her. Viel wurde nie darauf gespielt, von der Tochter nicht, die nach zwei Jahren das Interesse verlor (und ich, selbst so vielen Zwängen in musikalischem Umfeld ausgesetzt, sie nicht zum Durchhalten drängen wollte), von mir nicht, immer nur gelegentliche Anfälle, am dauerhaftesten dann vom Sohn, der aber durch den schulischen Ortswechsel auch dem Instrument abhanden kam. Und so diente es seit einem Jahr nur mehr als Ablage für meine nichtbearbeiteten Mitbringsel von Ess- und Weinreisen, war eingehüllt von Stößen von Papier. Die Noten lagen längst woanders.
Der künftige reduzierte Raum, der mir zum Wohnen sein wird, legte mir, nebst anderen Überlegungen, den Abschied vom glänzend schwarzen Pianino nahe; es war einer ohne Wehmut. Wirklich geliebt hab ich d i e s e s Instrument ohnedies nie. Einzig die Abholung heute Morgen verstörte mich, aber das lag am Mann der Käuferin, der nach einer durchzechten Nacht mit deutlichem Restalkohol viel zu spät zum Abholen kam, so gar keine Ehrfurcht vor dem Instrument hatte. Aber bei ihr, seiner Frau, weiß ich es in guten Händen, sie hat mit Enthusiasmus zu lernen begonnen, und da ist auch noch der kleine Sohn, der sich beim Begutachten ganz selbstverständlich ans Klavier gesetzt hatte und in den Tönen drauflos spazierte, als wär's ihm tägliches Vergnügen. Es wird gespielt werden, das gereicht mir zur Freude, dazu wurde es gebaut.
Und ich könnte mich von noch viel mehr trennen als ich bald muss, pian piano werd ich's wohl tun.
ConAlma - 2008-11-20 21:28
Novemberreisen haben ein besonderes Licht, in der Lagune ist es ein stilles Schimmern. Um drei Uhr nachmittags reicht die Sonne nicht mehr an die Hausmauer des
Riva Rosa in Burano, die kleinen Fischerhäuser aber leuchten noch in ihren Bonbonfarben, Venezianer und Dorfbewohner flanieren zum Sonntagsnachmittagsspaziergang durch die Gassen neben den Kanälen, überall hängt die Wäsche an den Leinen.
Wir nehmen doch noch im Freien -
Mitte November im Freien und im Schatten, wer hätte das gedacht! sagt der Hirsch - Platz zu einem späten Mittagessen, den letzten Branzino in sale hatten schon andere gegessen, die orata al forno mit reichlich Gemüse, Oliven und Kapern ist wohl nicht minder vorzüglich.
Questa qualità die pesce non si trova a Venezia, sagt der souveräne und charmante Kellner,
'sta freschezza, mai! Vor allem aber auch die umfangreiche Weinkarte könnte mich zu regelmäßigen Besuchen verführen, das Oberstübchen im zweiten Stock mit dem einen großen Tisch mit Lagunenblick und die kleine, überm Dach aufgesetzte Terrasse als intimes Refugium und perfekter Platz für lange Sommerabende sowieso.
Daheim riecht's nach Schnee.
ConAlma - 2008-11-19 21:34
Wenn gefühlte Enge einer überwältigenden Raumgebung weicht, der eigene Brustkorb sich inwendig weitet, als läge ein riesiges Kirchenschiff (wie das der SS. Giovanni e Paolo in Venedig) zwischen den Rippen, so ist dies den kundigen Händen des Osteopathen zu verdanken.
In Miesbach schneit es bereits.
ConAlma - 2008-11-13 11:49
Testlauf am Hbf Ibk: eine fremde weibliche Stimme tätigt die Bahnsteig-Ansagen. Fremd, weil es nicht die über die Jahre zur Selbstverständlichkeit gewordene Stimme von Christ Lohner ist. Fremd, weil sie bar jeglichen österreichischen Anfluges ist. Muss sie allerdings, denn irgendwann im Laufe der Ansage kommt man drauf, das das nicht eine wohlgepflegte international-deutsche Stimme ist, sondern eine computergenerierte sein muss. Sie verrät sich ausgerechnet beim Wort Bahnhof. Denn so plötzlich britisch-piepsig die Stimme in der englischen Version wird, bei den Eigennamen von Orten und Zugnamen bekommt sie sofort wieder die tiefere "deutsche" Stimmlage, und der Bahnhof wird einfach unnachahmlich ausgesprochen: Bahn-hoff, so in etwa, das -hoff ganz in die Kehle hinuntergerutscht, noch tiefer als das vorhergehende, mit sehr offenem o, als würde der Vokal zwischen den Mandeln steckenbleiben, und mit nicht ganz komplettem Doppel-f, aber zumindest eineinhalb.
Als ich die Ansage zum ersten Mal hörte, assoziierte ich: -hoff - Bahnhoff - Hof der Hoffnung - aber auch Verzweiflung. Letztere aber wäre eine eigene Geschichte.
ConAlma - 2008-11-10 22:19
... hieß an jenem Abend: mit Schulkollegen von damals. In eine Herrenrunde (zweimonatlich zwecks Weinbetrachtung einberufen) hineingeplatzt. Sechs Weine, karaffiert, ein nicht bekanntgemachtes Thema, ein Pirat darunter. Erst Kostrunde, dann Besprechungsrunde. Eher vernichtende Beurteilungen. Ratlosigkeit bezüglich Zuordnung schwirrt im Raum, Spanien, tönt es oft, gereift alle Weine, darin ist man sich einig, kleiner Bordeaux-Jahrgang, keinesfalls Italien jedenfalls, so ein Garnacha aus Navarra der eine, ja das könnte es sein. Dann die Aufdeckung: alles Italien, fünfmal Toskana, einmal Marche. Einmal gute Weine gewesen, aber die 9 oder 10 oder gar 13 Jahre nicht so recht überlebt. Einzig den Guado al Tasso kannte ich, der jüngste (2000) und beste der Serie, alles andere mir unbekannte, wohl kleine Güter, Eintagsfliegen vielleicht auch, einst gehypt und dann vom Markt verschwunden. Gut, dass ich die alle schon ausgetrunken hab, sagt der Anwalt-Klassenkollege, der bei allen gemeinsamen Weinreisen dabei war.
Ich hatte eine Flasche mitgebracht, in Zeitungspapier gehüllt, wahrer Pirat: Ah, endlich ein guter Wein! DAS ist Bordeaux, na ja, vielleicht auch Supertuscan, aber schon eher Bordeaux. Ich grinse: Nittnaus Comondor 1999. Noch ganz frisch und klar in der Farbe, tief in der Frucht, balanciert, nur für Freude sorgend.
Die Ehefrau des Gastgebers ist Religionslehrerin und trinkt keinen Alkohol, sorgt aber für adrett angerichtete Jause danach. Die Gespräche kreisen um "Damals" (=Maturareise) einer- und Kleinstadt-Gegenwärtiges andererseits. Lokalpolitik, Freundesbegebenheiten, mehr Geplänkel als Inhalt. Habe ich tatsächlich jemals hier gelebt?
ConAlma - 2008-11-09 23:58
kristallklar
die erinnerung
an finstere nacht
noch.
ConAlma - 2008-11-09 19:37
Niemals liebte ich dich
mehr
da Mahler uns umhüllte
dein Arm mich fester an dich zog
als müsstest du mich in dich binden
und meine Schläfe in die deine fiel.
So liebte ich dich niemals mehr
ein Dutzend Male wohl und wieder
so lang wir Taucher sind
in Klänge Strom.
(Und uns gesungen:
O glaube, mein Herz! O glaube:
Es geht dir nichts verloren!
Dein ist, ja Dein, was du gesehnt,
Dein, was du geliebt, was du gestritten! )
Wien, in den letzten Oktober- und ersten Novembertagen:
Staatskapelle Berlin, Pierre Boulez, Daniel Barenboim, Mahler Symphonien 1-5.
Der Geliebte kann sich alle Tage nehmen, ich folge erst am Wochenende. Die Zweite mit Boulez ist ein überwältigendes Erlebnis aus Schönheit, Klarheit und Trost; Barenboim am nächsten Tag mit der Fünften zelebriert mir zu viel Gefühlsshow, ein wenig Ermüdung ist im Orchester zu hören, nur zu verständlich. Aber immer wieder nahe am Atemstillstand erlebt: Pianissimi, die erfahrbar machen, wieviel Klang in der Stille liegt.
Die Rückert-Lieder sind mir seit meiner Jugend herznah, ich hätte wohl eine Frauenstimme lieber gehört als Thomas Quasthoff, der mir zu scharf erschien - jedoch: Ich bin der Welt abhanden gekommen ist und bleibt mein Zufluchtstext. Unfassbar, was Mahler (auch aus schlichteren Sätzen etwa aus Des Knaben Wunderhorn) mit seiner musikalischen Umformung zu schaffen vermag!
Ich bin der Welt abhanden gekommen,
Mit der ich sonst viele Zeit verdorben,
Sie hat so lange nichts von mir vernommen,
Sie mag wohl glauben, ich sei gestorben!
Es ist mir auch gar nichts daran gelegen,
Ob sie mich für gestorben hält,
Ich kann auch gar nichts sagen dagegen,
Denn wirklich bin ich gestorben der Welt.
Ich bin gestorben dem Weltgetümmel,
Und ruh' in einem stillen Gebiet!
Ich leb' allein in meinem Himmel,
In meinem Lieben, in meinem Lied!
ConAlma - 2008-11-09 09:15