speisenreisen

Freitag, 13. April 2007

...ein Anflug von Beinschinken ...

... zum Marchfelder Spargel. Am rechten Wachauer Donauufer. Und zwei Varianten von Spargelwein vor mir. Die Frau Doktor gegenüber wartet auf mein Urteil. Ich mag ja den Veltliner lieber, weiß aber, dass sie den Sauvignon blanc vorzieht. So bin ich diplomatisch, lüge nicht, und sie, Stammgästin die sie ist, ist's zufrieden.

Es ist einer jener Tage, wo ich aus blütengetränktem Herzen (kenne Sie das Mostviertel in voller Blüte? Der Flieder ist auch schon am Aufbrechen, und die Hänge hinauf zum Dunkelsteiner Wald sind mit wattebauschähnlichen Tupfern gefleckt) sagen kann: Ach, was liebe ich dieses Leben!

Das Lokal zum Tag: Raimund und Ina Thiery, Rossatz. Nur Do-So. Aber dafür gibts die besten Marillenpalatschinken, die eleganteste Ansprache, den schönsten Gastgarten (weil wirklich Garten, zwischen Weingärten) der rechten Wachau. Und die Stammgästin sagt: es ist das bessere Ufer.

Mittwoch, 28. März 2007

Étrangère à Lech

Es ist fast 15 Jahre her, ein Sommer war es, da fuhren wir nach Lech, um einen kleinen Schweizer Zirkus bei seiner Höhenpremiere zu erleben. Damals war es dort droben im Sommer so verlassen, wie es im Winter noch exklusiv war. Aber von den Wintern ahnte ich nur, sie interessierten mich nicht. Der Bergsommer hingegen, der war überwältigend: seltene Pflanzen bei jedem Schritt, was für ein Unterschied zu den überdüngten Almwiesen der tieferen Lagen!

Wir gondelten hinauf auf den Ruefikopf und wanderten querfeldein, verloren den Weg, querten einen Wasserfall, eine sehr waghalsige Aktion, und gingen irgendwie sonnenorientiert hinunter in Richtung Ortschaft. Wir, das waren damals die große Tochter mit knapp sechs, die kleine, knapp einjährige Tochter, um den Körper geschnallt, eine entfernte Cousine mit 12 aus dem deutschen Osten, die noch niemals zuvor solche Landschaft gesehen hatte, und ein Kindsvater. Die Höhenluft muss fruchtbar gewesen sein, denn neun Monate später gebar ich einen Sohn.

Lech im Winter heute lebt von einem Ruf, der nicht mehr zu halten ist bei genauerem Hinsehen. Nicht, dass mich das bestürzte. Aber das Mißverhältnis von überzogenen Preisen zu Gebotenem, die zunehmende Lässigkeit, verbunden mit einem Nach- davor, verärgert. Entschädigend sind Situationen wie heute Abend, in einem besonders lässigen Lokal, das wohl mit seiner Modernität im Ambiente spielt, aber inhaltlich Schwächen zeigt: zwei Damen, ein Herr, knapp vierzig, Unmengen von schlechtem Parfum legen sich über die Distanz von drei Tischen. Zweimal Suppe, einmal Salat. Eine große Portion, wo doch Salat am Abend nicht gerade als leicht verdaulich einzustufen ist. Aber die Figurförderung sitzt offenbar ausreichend tief. Und da: verschluckt. Husten, bis das sorgfältig geschminkte Gesicht in Auflösung begriffen ist. Dekonstruktion einer Figur, die Julia Stemberger spielt, wie diese Schnitzler spielt.

Fast jedes wichtige Haus hat einen exorbitanten Weinkeller. Auch wenn mir nicht mehr vergönnt ist als die Weinkarten zu lesen. Und es nur für eine Halbflasche Paul Achs Pinot Noir reicht. Es war mein erster Winter in Lech. Das darf ich ruhig eingestehen. Und bin somit Fremde hier, mit staunendem, zweifelndem, aber auch wohlwollendem Blick. Für jene, die dem falschen Fluß widerstehen. So habe ich zum Beispiel (im letzten Sommer gefunden) eine Pension ganz im Zentrum, mit viel Komfort, zu einem absolut verständigen Preis. (Nach der müssen sie mich schon direkt fragen)

Dennoch komme ich im Sommer lieber wieder. Der Pflanzen wegen, der Ruhe halber, und weil es von Qualität zu Preis ein feines Verhältnis wird.

Samstag, 17. März 2007

Die wundersame Vermehrung der fünf Gänge

Am Anfang war eine Karte.

Darauf stand geschrieben: Menü.
- Bluntauforelle mit gelber Paprikacreme und tasmanischem Pfeffer
- Langoustine royale. Gravensteiner Apfel mit Blunzn und Langustinen
- Egelseer Waldschwein & Perigordtrüffel. Knuspriger Bauch mit geschmortem Trevisano, Selleriecreme und Banyulsreduktion
- Ochsenbacke "sous vide" mit Bärlauchtortelloni
- Dessert

Gezählte fünf. Dann kam das Gedeck.

Sehr schlicht: Rohmilchbutter, gesalzen, sehr puristischer Thunfischaufstrich, Schwarzbrot, Weißbrot. Einzige Extravaganz: hausgemachtes Popcorn mit Arganenöl und Limetten. Dazu: Vin Santo 2000 Castello di Querceto

Dann Gruß aus der Küche 1:

Minitürmchchen aus Frischkäse, Olive, Sardelle, Erdbeersauce. Bei Tisch nappiert mit Olio aus Maurino und Bianchera (Olivensorten) von Starec, einem Triestiner Architekten. Mit römischer Foccaccia. Der Schoß ist von einer weißen Leinenserviette bedeckt.

Gruß 2:

Clubsandwich (sehr dünne Toastscheiben) mit Lardo di Colonnata, geräuchertem Waller und Krensorbet.

Gang 1 wird dann endlich serviert mit Skringer Sauvignon Blanc Ried Trautenburg 03

Gelber Parika zu gelbem Parika macht sich gut. Gang 2 war mein persönliches Highlight. Die Linsen mit Spinat, die noch dabei waren und mit dem Langustino ein eigenes Gericht ergeben hätten, waren mir zu viel. Aber sonst: perfekt. Beste Blunzen seit je. Wein hierzu: GV Renner 02 Schloss Gobelsburg.

Dann entkam dem Küchenchef noch eine Zwischengeste: Gänseleber im Gewürzrauch. Optisch nicht so aufregend, aber was sich beim Öffnen der Pseudoglasschachtel abspielt, ist - aromatisch gesehen - eindrucksvoll und nachhaltig. Mit einem Schlauch wird intensive Würzluft ins Gefäß geblasen und haftet an der Gänseleberterrine. Dazu das Kompott von der Williams Christ-Birne. Und ein neckisches Mohnkipferl. Und ein Ramandolo 04 von Giovanni Dri.

Dann war es leider aus mit der Stube für mich allein. Ein runder Tisch lautstarker Herren (eigentlich nur 1 lautstarker Anführer, der seinen Geschmack über die anderen stülpte) übernahm den Raum. Ich versuchte mich nicht ablenken zu lassen: zum wirklich knusprigen Waldschweinbauch mit extrem geschmortem Trevisano in dicker Banyulssauce eine leichtfüßige und doch intensive Cuvée Cécile 2000 von Willi Bründlmayer (Pinot Noir), zur Ochsenbacke, die im Vakuum gegart war - saftig, zerfallend, großartig in der Konsistenz - ein Schluck Château Fonbadet 2000 aus dem Pauillac.

Und was so vernachlässigbar als Dessert apostrophiert wird, sind der Köstlichkeiten einige: Passionsfrucht mit Pinzgauer Schotten und Rum, in der Frucht mit Strohhalm serviert. Ananas-Pralinenraviolo auf roter Paprikasauce mit Milchschaum. Dukatenbuchtel mit Schwarzbeerkoch, Nougatfondue (rumlastig) und Rumeis. Domori Bitterschokolade-Variation mit Buttermilcheis. Crème brulee, weisse Valhrona mit Zitronenthymian, hausgemachte Marshmallows mit Kardamom, Pralinen, zum Kaffee ein flaumiges Löffelchen Mohr im Hemd. Auf weiteren Alkohol hatte ich verzichtet.

Und wohin soll'n Sie sich wenden? (auch ohne dass Gram und Schmerz Sie drücken): Gasthof Döllerer in Golling.

[Was, wenn wir dies gemeinsam hätten verspeisen können?]

Sonntag, 20. August 2006

Wenn einer eine Reise tut ...

Der "kleine" Bruder war zu Besuch gekommen, mit seiner Frau, die seit diesem Frühjahr seine auch amtlich verbriefte Frau ist. Wir trafen uns beim Metzgerwirt, seinem Lieblingswirt, wenn er in Tirol ist, der auch meiner wäre, müsst ich nicht statt 10 Minuten fast 40 fahren, das ist dann danach immer ein bissel mühsam und erfordert Disziplin, Mäßigung.

Sie waren eben erst aus Australien zurückgekommen, einem Hochzeitsreisenteil, und während wir bei Milchkalbnierndln mit Spinat und Püree und dann Hirschkalb mit Topfensemmelknödel und Kirschsauce saßen, erfuhr ich von den wundersamen Dingen, die sie gegessen hatten, seabug oder baybug etwa, die Meereskakerlake, die zunächst wenig appetitlich wirkt, aber dann ganz manierlich daherkommen sollte und vor allem ganz vorzüglich sei!


(siehe auch.)

Immer wieder Bestandteil in den Schilderungen der Menüs, die unter 8 Gängen kaum wegkamen, die marrons, süßlich schmeckende Krustentierchen, die, wie ich dem Tierlexikon entnehme, auch aquariumtauglich sind. Und Wachteln gibt es allenthalben, einmal wurden sie mit Pancetta umwickelt, dazu gab es Püree und Shiitakepilze - im Tetsuya's in Sidney, einem "weltlichen" Japaner, wie der Bruder so trefflich definierte, angesichts mangelnden Japan-Purismus(ses? *hilfe* wie geht der Genetiv von Purismus?)

Der - der Purismus - war bei Ryuichi Yoshii dann ausgeprägter, aber das kennen wir ja jetzt in Österreich, war er doch im Juli zu Gast im Hangar7!

Eindrucksvoll müssen die Marktbesuche gewesen sein, nicht nur all die Fische und sonstiges Meeresgetier, sondern vor allem Obst und Gemüse: was immer man sich vorstellen kann, wird in Australien selbst angebaut - da ist man sehr heikel. Nix mit Import, wegen möglicher Krankheitsüberträger. Sogar die Trüffel, französische, kommen aus dem eigenen Land, seit 1997 gibt es sie, und 2006 war offenbar ein besonders gutes Trüffeljahr. Die Rebstöcke, die dann doch aus dem Ausland benötigt werden - man experimentiert ja mit allem, es gibt auch keine Beschränkungen, was ausgesetzt werden darf oder nicht - kommen erst für 2-3 Jahre in Quarantäne - das würde ein Kisterl Obst ja nicht überleben.

Im Weinbaugebiet Victoria gibt es zwar die Reblaus, während Westaustralien frei davon ist - dafür ist Vicotria gänzlich fruchtfliegenfrei! Man stelle sich das vor: das Obstkörberl ungeschützt einfach stehen lassen, ohne dass die lästigen Minitierchen in Schwärmen darüber herfallen!

Nur mit dem Wein, da waren sie nicht allzu glücklich drüben-drunten, den Weißen fehlte die gewohnte Säure, und die Roten haben sie gleich beiseite gelassen, zu dick, zu fett, zu marmeladig. Wie erfrischend schien doch da der Blaufränkische von Toni Hartl, der trotz des opulenten namens "Tout feu, tout flamme" ein elegant-mineralisches Beispiel für österreichische Identität war. Aus dem avinierten Glas roch es - nein, lieber Bruder, nicht nach Speck uns Selch, sondern ja, liebe Schwägerin, nach Streichholz, Feuerstein, aber es gibt ja reichlich Schiefer in den Abhängen des Leithagebirges. Mit dem Fass 4 vom Bernhard Ott ("endlich wieder Veltliner!") ließ ich die beiden dann, mich mäßigend, alleine und fuhr durch einen sternbildreiche Nacht nach Hause.

Montag, 7. August 2006

Rudalpe Lech: Abendessen mit Wein, Weib & Gesang

Frei nach Johann Strauss war es ein von Wein, Weib und Gesang bestimmter Abend, wobei dem Gesang (verantwortlich: Harry Prünster) weniger künstlerischer als vielmehr malerischer Hintergrundwert zukam.

Wiewohl die Kulisse der Rudalpe allein schon malerisch genug ist: auf steilem Abhang (aber welche Hänge hier sind nicht steil?) hoch über Lech gelegen, in- und auswendig aus altem Holz bestehend und doch ganz neu, 2003 war die Eröffnung. Man ging mit großer Sorgfalt an die Neuerrichtung auf historischem Platz: vier andere Almhütten leben hier drin weiter, doch hinter allen stilgetreuen Zutaten versteckt sich gebündelte Modernität. Zum einen viel Luft und Raum, nach oben offen, großzügig im Platzangebot (samt weitläufiger Terrasse). Versenkbare Zwischenwände, moderne Küche, klimatisierter Weinkeller (wohlbestückt, einiges auch an Großflaschen), Toiletten für Schifahreransturm dimensioniert und doch von gepflegter Alpineleganz. Sogar der Zigarettenautomat ist in einem Holzschränkchen versteckt. Hochlöblich: der Verzicht auf üppiges Schnitztum.

Auch die Küche weiß sich zu beschränken: im kurzen Wandersommer sowie an den wesentlicher belebteren Wintertagen wird man hier mit Lechtaler Schmankerl und hüttentauglichen Gerichten der österreichischen Küche zufriedengestellt. Da aber ein versierter Mann der elaborierten Kochkunst am Herd steht - Christoph Wagner hatte im Wiener Restaurant Bordeaux maßgeblichen Anteil an Haubenehren - darf jeweils Dienstag und Donnerstag abend aus ganzer Kreativitätskraft geschlemmt werden.

Einen Vorgeschmack auf den kommenden Winter brachte das Menü zu den Weinen der 11 Frauen im Rahmen ihrer Präsentation in Lech.

Zum Sekt von Petra Unger wurde als Küchengruß ein saftig-zartes kaltgeräuchertes Stückchen vom Schwein gereicht, auf süßlich-pikantem Gemüse - wahrlich viel versprechend.
Dann zauberte das Rosa Fischstäbchen vom Thunfisch auf Rahmgurken ein fast asiatisches Lächeln auf die Gesichter: noch roh in der Mitte, ganz leicht paniert, und vor allem die Gurken weckten Begeisterung: in langen feinen Streifen von bemerkenswerter Trockenheit, weder wasser- noch rahmtriefend, fein gewürzt mit einem Hauch rosa Pfeffer. Die Frische der Gerichtes wurde unterstützt vom Gemischten Satz 05 von Michaela Ehn, ein in diesem Jahr sehr sauvignonlastiger Wein; Birgit Braunsteins Chardonnay 05 hingegen unterstrich mehr den gewichtigen Charakter des minutiös gebackenen Thunfisches.
Weiße Tomatenschaumsuppe mit Basilikumcrostini: letztere für sich eine nette Knabberei, aber die fein geschäumte Suppe mit dem zarten Paradeisaroma kam bestens ohne sie aus. Der Grüne Veltliner Gutsreserve 05 von Ilse Maier, Geyerhof, mit seiner unaufdringlichen Eleganz und Kraft war ein charmanter Begleiter dazu.

Gespickter Zander in Kapernbutter auf Jungzwiebelpüree: die Kapernbutter war ganz in die knusprige Kruste des Fisches eingezogen, das machte jeden Bissen zu einem Vergnügen. Dazu stand die Auswahl Pannobile weiß 02 von Judith Beck, mit dem eingebundenen Holzton hervorragend zum kräftigen Fisch passend, aber auch Birgit Eichingers Riesling Heiligenstein schlug sich dank Jahrgang 2005 hervorragend. Nur das Jungzwiebelpüree litt geschmacklich an der langen Standzeit - bei 170 Gedecken, die gleichzeitig zu servieren waren, eine lässliche Kleinigkeit.

Eine herrlich knackige Angelegenheit dann das knusprige Schweinsgoderl mit Kräuter-Weißbrot-Soufflée: das dicke megaknusprige Schwartel wird allerdings für so manche Zähne eine Herausforderung gewesen sein! Ein Traum in Flaum dagegen das Kräuterknöderl (auch die euphemistische Umschreibung sei verziehen, war doch so allerhand illustre Gesellschaft versammelt) - ich habe selten eine solch betörende Konsistenz wie Aromenintensität bei schlichten Knödeln erlebt! Wenn das immer so ist ... Die Entscheidung für den passenden Wein dazu musste der persönlichen Vorliebe überlassen werden: sowohl der Veltliner Alte Reben 05 von Helma Müller-Grossmann, der hier seine ganze Intensität und Dichte ausspielen konnte, wie der Clausenberg 2002 von Rosi Schuster, eine Cabernet-Zweigelt-Cuvée voller Kraft und Eleganz, waren perfekt dazu.

Ganz in rot wurde dann der saftige rosa Lammrücken "auf Zartweizen mit Paprika" = kleine rote und gelbe gefüllte Paprika (wobei die Zartweizenfülle zu wenig Ausdruck hatte, hier wäre Markanteres vorstellbar) begleitet, mit einem noch jugendlichen terra 0 2004 von Silvia Heinrich und dem saftigen Cabernet Ungerbergen 2000 von Silvia Prieler.
Auf den Flügeln der Morgenröte, mit diesem poetischen Namen kam dann zuletzt der Ruster Ausbruch 04 von Heidi Schröck als Begleitung von Nougatparfait im Marzipanmantel mit Kaffee-Chilischaum (duftig und von angenehmer Schärfe) zu Tisch.

Man darf sich auf die Wintersaison freuen!

Donnerstag, 27. Juli 2006

Der Pavillon, Innsbruck: Tiefgaragenaufgang mit Gourmetküche.

Der neue Glaskubus vor dem Landestheater unterbricht den Übergang des festen Platzes in den Hofgarten. Oder schließt das Gebäudeensemble mit einem architektonisch markanten Stück angewandter Geometrie ab, trennt Stadt von Natur - je nach Sichtweise.

Auf jeden Fall wirkt er zunächst wie eine überdimensionierte Überdachung des Tiefgaragenaufgangs, eine Glas-Stahlkonstruktion in Würfelform, halb- und ganz transparent. Der Aufgang ins Restaurant ist nur bedingt vorne, durchs Café, das sich mit einer großen Terrasse weit in den Raum des Platzes erstreckt. Er ist eigentlich auf der Seite versteckt, und hier liegen die - wenn auch einzigen - Schwachpunkte des Objektes: der Tiefgaragenauf- und abgang eben, der zugleich Restaurantaufgang ist, und das WC, das im Souterrain befindlich ist, wunderschön in Rottönen designt, aber eben auch öffentlich, und vom Lokal im ersten Stock nur durch dessen Verlassen erreichbar. Aber das war es dann auch schon an Kritik, denn:

Mit dem Betreten des ersten Stockes wird die vor allem im Sommer touristisch geprägte Welt des Platzes zwischen Hofburg und Landestheater verlassen. Es öffnet sich ein sich abgeschlossener Raum, der durch das Glas rundum zwar den Blick freigibt auf das Rundherum, aber gleichzeitig abgeschottet ist von allem und den Gast ganz in seiner wohnzimmerartige Retro-Atmosphäre hineinzieht. Niedrige Fauteuils in rostrot, sonst Braun- und Beigetöne, klare, geradlinige Formen, und nur der Teppich, wenngleich farblich harmonisch, darf mit einem verschlungenen 50-Jahre-Muster den spielerischen Kontrapunkt setzen. Die Weinklimaschränke sind in niedrigen Sideboards untergebracht, die Musik plätschert angenehm nebenher - Songs von Country bis Jazz - und unterstreicht das angenehme Lounge-Feeling.

Mit dem Aperitif kommt ein erster Gruß aus der Küche, noch bevor Einblick in die Speisenkarte genommen wurde: Gazpacho mit Flusskrebstatar, das Krebsenklein versenkt im eiskalten, erfrischenden Süppchen von angenehmer Schärfe, dazu ein Stück Nussfocaccia mit Bärlauchpesto. Man ahnt, dass da noch Aufregenderes folgen sollte.
Dann die Karte, klein, zwei Menüvorschläge, einmal 6, einmal 5 Gänge. Sehr teuer. Aber erlesene Zutaten, auch das ist erkennbar. Erst einmal das zweite Amuse bouche: Vitello tonnato, zwei kleine kreisrund ausgestochene Kalbfleischscheiben auf Thunfischsauce, ordentlich, aber nicht besonders, auch das Paprikaöl dazu noch nicht, aber die Wildwassergarnele! Einfach perfekt. Das Brot in der geflochteten Schale ein bisschen zu sehr nach zugekauft aussehend; die "Früchtebutter", gesalzen, mit Stückchen von Trockenfrüchten versetzt, wiederum ein witziger Akzent.

Und dann entfaltet sich Gang um Gang eine unerwartet mitreissende, sehr persönliche mediterrane Küchenlandschaft, in die feine orientalische Noten geraten: Küchenchef Mansur Memarian ist gebürtiger Perser, ausgebildet in Deutschland, seit kurzem in Innsbruck: perfekte Rohstoffe, eine wunderbare Hand für Gemüse und Früchte - was sich da an Eigengeschmäckern tummelt, nicht zugedeckt von vordergründigen Würzungen, sondern vielmehr von unten her gestützt, somit leicht fassbar, und dabei noch in ganz faszinierenden Konsistenzen, ist beeindruckend; ja überhaupt die Konsistenzen, der geschmolzene Adour-Wildlachs etwa, der zerfloss auf der Zunge, das sind Erlebnisse am Gaumen, die auch eine routinierte Esserin staunen machen.

Zum Wildlachs Wasabicreme: eher ein feinstgehacktes Tatar von der Wasabinuss, wenn schon, und im Cocktailglas dazu ein leichtes Hummerschäumchen, sehr dezent im Aroma, und wieder kontrapunktisch knackende Stücke von der Wasabinuss darin. Das Clubsandwich vom heimischen Milchkalb: zwischen hauchdünnen Strudelblättern geradezu schmelzende Stücke vom Kalb, von der Wange? mit Stücken geschälter Datteltomaten und fein mariniertem Friseesalat, ein Streiferl Lardo darübergelegt: eine köstliche Interpretation, stilistisch einwandfrei zum Ambiente passend. Und dann einer der Glanzpunkte, ganz schlicht, ganz perfekt: Erbsenschaumsuppe mit Minzcracker. Der Cracker wieder ein hauchdünn knisterndes Teigstück, mit feinen Streifen von frischer Minze hineingebacken - so Einfaches vermag Leuchten in den Augen zu bewirken. Die Suppe: leicht, subtil, mit frischen, kaum gegarten Erbsen, die wiederum den Biss ins Gericht bringen.

Und weiter im Menü, und ich verharre nur bei den Highlights: zum glacierten Stubenkücken das Avocadocouscous: feinkörnig, darauf eine feinsäuerliche Avocadocreme, dazwischen noch drapiert leichtfüßige Gurkenbutter, drei hauchdünne Stücke wilden Spargels mit großer Geschmacksintensität geometrisch angeordnet. Die Wildkräuter-Mandelkruste auf dem St.Pierre: ein rechteckiger Streifen an dunkelgrüner fester Creme auf dem saftigen Fischstück, Aromenintensität für sich, darunter die Eierschwammerl, vornehm Pfifferlingspanaché genannt, reichlich, das einzige sehr würzige Gericht, das aber die Würze aus seinen Zutaten bezieht. Das Hereford-Rindsfilet: Fleisch untadelig, die Besonderheit aber wieder bei den Gemüsen: Miniwürferl vom roten Paprika in absoluter geschmacklicher Paprikapurezza, aufdressierte Streifen von Zucchinipüree, dunkelgrün (von den Schalen?) - was da herausgeholt wird aus den sonst faden Früchten, ist enorm. Und der Auberginenauflauf, als ein Tortenstück auf das Filet getürmt: mit geschlossenen Augen die ideale Parmigiana di melanzane!

Nach und nach wird klar, worum es hier geht: Herr Memarian ist ein Meister der Konsistenzen, er spielt gekonnt mit diesbezüglichen Gegensätzen, holt aus natürlichen Produkten den ureigenen Geschmack hervor, ein wenig zu Lasten einer Gesamtgerichtintensität, aber darin liegt dadurch noch einiges an Potential. Und der Umgang mit Gemüsen und Früchten ist sensationell, nicht oft so zu finden, wenn die Grundprodukte nicht so toll wären, könnte man glatt auf Fisch und Fleisch verzichten. Aber vielleicht gibt es ja einmal kleine Gemüsemenüs, wenn dann im Herbst, wie angekündigt, in Kooperation mit dem Landestheater 3 Gänge vor und 2 Gänge nach der Vorstellung für ein Rundumgesamterlebnis an diesem Ort sorgen werden.

Das Dessert noch
: Tahitisorbet im Catalanaschaum mehr eine sprachliche denn geschmackliche Angelegenheit, feinsäuerliches Sorbet in luftigen Vanilleschäumchen versenkt, Tahiti steht für die gleichnamige Vanille, und das Katalanische kommt von kurzem Überflämmen. Aber die "Beilage": Aprikosen-Zitrusragout! diese Marillenkonsistenz - himmlisch! Der zarte Zitrusgeschmack, mit dunkelroten Zesten von der Blutorange ins fast Pikante verstärkt. Ein würdiger Abschluss. Die Präsentation auf dem edlen Geschirr in weisser Formenvielfalt ist wunderschön, man kann eine den geometrischen Formen rundum entsprechende Neigung zu Quadern, Rechtecken, Kreisen und Zylindern in Aufbau und Gestaltung der Gerichte finden.

Wein gibt es auch: Eine umfangreiche Karte, einige Magnums, viel Österreich, viele große Namen, aber auch Italien, Frankreich, neue Welt. Man hat das Gefühl, dass hier ein Team am Werk ist, das das behäbige Innsbrucker Gastroleben gehörig auf den Kopf stellen wird. Irgendwie vom Konzept her ein Schritt in Richtung Weltstadt.

Restaurant Der Pavillon, Innsbruck.
Der Küchenchef.

Freitag, 7. Juli 2006

Mein Almsommer: Angerer Alm

Mein Almsommer währte einen Nachmittag lang, einen Abend und noch eine Nacht. Die Nacht begann mit Kuhgebimmel neben dem Lagerfeuer, an dem Kaffee gereicht wurde, Kössler-Brände und zur Wild-Schokolade (aus wildwachsenden Kakaobohnen produziert) ein mit Birnendestillat versetzter Birnenmost, genannt Mostella: sehr feine Kombination!

Schon aus dieser Schilderung lässt sich entnehmen, dass es nicht einfach irgendeine Alm war, zu der es mich zog, aber es hat auch nicht jede Alm einen Weinkeller wie die Angerer Alm, die ich hier schon einmal beschrieben habe.

Es war diesmal das alljährliche Highlight des Tiroler Sommelierverbandes, das mich an einem veritablen Sommertag hinan zog. Ein wahres Highlight setzt sich zusammen aus ausreichend Höhe und phantastischem Licht. Von beidem gab es zur Genüge: Höhenluft mit grandiosem Panorama zum Beispiel auf der riesigen Terrasse. Das Licht wiederum war in vielen Gestalten zugegen: Zunächst als strahlend-wärmende Sonne auf der Terrasse, als noch zugewartet werden musste. Dann aber, beim eigentlichen sinnstiftenden Inhalt des Nachmittags, aus dem noch ein friedlicher Abend und eine leuchtende Nacht wurde: Licht, eingefangen in zahllosen Luftperlen champagnergefüllter Gläser. Denn zum Champagner-Seminar war eingeladen worden: Toni Wallner, Vinothekar aus Freising, versierter Verkoster und profunder Kenner der Materie, führte mit einer launig gestalteten und fachlich fundierten Präsentation durch die wunderbare Welt des besten Schaumweines der Welt: da musste auch die Qualität eines Franciacorta, der als einer der Piraten eingeschmuggelt worden war, klein beigeben.

Zur geschmacklichen Illustration dieses Umstandes wurden mitgebracht (teilweise aus Privatkellern – und ich zähle hier nur die absoluten Highlights auf):
Jacques Selosse Grand Cru Blanc de Blancs Brut / André Clouet Grand Cru Bouzy Brut, ein Blanc de Noir: die Paarung für den Unterschied zwischen Blanc de Blanc und Blanc de Noir.

Pol Roger Brut 1990 / Ruinart Dom Ruinart Blanc de Blancs Brut 1990: Jahrgangschampagner vom Besten!

Maurice Vesselle Collection Bouzy Grand Cru 1985: Dieser Solist bewies überzeugend, dass auch Champagner in Frische und Eleganz zu altern versteht – dem hätten wir noch gut 10 weiter Jahre gegeben! Für die meisten DER Höhepunkt der Verkostung.

Detaillierte Notizen hierzu finden sich auch hier!

In der Zwischenzeit war auf der Terrasse eine opulente Tafel gedeckt worden: die bereits sehr entspannte Tischgesellschaft konnte sich im immer intensiver werdenden Abendlicht bis hin zu einem orangegoldenen Sonnenuntergang hinter dem Massiv des Wilden Kaisers wärmen, während ein Gericht nach dem anderen aus dem fulminanten 8-Gang-Menü, in bekannt spektakulärer Weise vom Angerer-Alm Küchenchef Stefan Assmann zubereitet, mit überragender Weinbegleitung aus den unergründlichen Tiefen des Almweinkellers (jede Höhe braucht auch ihr entsprechendes Tiefenpendant!) zu Tisch kam.

So kurz als möglich: Zum hausgemachten Brot im Blumentöpfchen Zitronen-, Rotwein- und Bärlauchbutter (das gilt noch nicht als Gang, sondern als Gedeck!). Tatare klassisch mariniert mit Jacobsmuschel, Erdbeerpaprikasauce – Vermetto (Riesling-Scheurebe) 2005 von Riffel aus Rheinhessen. Safrankarfiol mit Mango, Kaiserschoten, Vanille- und Korianderöl. Gurkenspaghettini mit Maracujaespuma, Gurkenkaltschale – Knoll Traminer Smaragd 2001. Rehtascherl mit Trüffelschaum und Tomatenreduktion – Xynomavro-Merlot 1998 von Boutaris (wie viele sprachen da von Sangiovese?); Sauvignon Blanc Bonus Erectus 04 Milan Sukal, Tschechien. Ananas-Moosbeer-Sorbet. Lammkoteletts im Steinpilzstaub mit Lavendelrisotto und Rucola-Vogerlsalat-Spinat – Veltliner 1997 Ilse Mazza! (die Österreicher vermuteten alles andere, die Münchner Kollegin war als einzige auf der GV-Spur). Schimmelkäseröllchen mit Zucchinischlaufen und Thymianhonig – Weissburgunder Beerenauslese 2001 Sepp Moser. Da war es 22:39, und noch immer lag ein rötlicher Lichtschimmer über den Ausläufern des Kaisers .... Erdbeerparfait und Holundertopfenmousse mit Minzpesto – Rieussec 1999.

Das leuchtende Licht zum nächtlichen Wärmen kam dann noch vom Lagerfeuer, und mit reichlich Erleuchtung ging es schließlich zur wohligen Bettruhe (im Himmelbett), bis das Morgenlicht, das in der Höhe viel früher kommt als im Tal, nicht mehr zu übersehen war.

Sonntag, 30. April 2006

Best of Zillertal: Der Metzgerwirt

Am Wirtshaus versuchen sich manche. Nur wenigen liegt es im Herzen. Johannes Hell aus Uderns im Zillertal ist ein junger Wirt, dem wahrlich viel im und am Herzen liegen muss. Nach fünf Jahren Feinschliff in einer der profundesten Ausbildungsstätten für große Küchensprache, bei Hans Haas im Münchner Tantris, hätten sicher viele Wege in die weite Welt der vielbesungenen, hochbewerteten und auch hochdotierten Kochkünstler geführt. Er aber entschied sich für den Weg nach Hause.

„I will des Wirtshäusl“, sagt er, mit strahlender Überzeugung in der Stimme, mit einem energischen Leuchten in den Augen, selbst nach einem langen Sonntag voller Arbeit, als er, nachdem alle Hauptgänge und Desserts ihren Weg zu den Tischen gefunden haben, seine Runde zur Feststellung der Zufriedenheit durch die Stuben macht. Kurz darauf sitzt er noch bei den Ortsansässigen an der geräumigen Bar im Eingangsbereich (das, was in jedem guten Wirtshaus der Tresen ist), um bei einem Feierabendbier in feinstem Zillertalerisch die Ortsagenden zu besprechen.

2003 wurde mit dem Umbau des schon seit dem 17.Jahrhundert in Familienbesitz befindlichen und als Wirtshaus wie Metzgerei geführten Hauses begonnen - weitläufiger, offener Eingangsbereich mit Bar und großem runden (Stamm)Tisch neben der Küche, helle Stuben von dezenter Ländlichkeit bis Landhauseleganz - in den auch die damaligen Stammgäste mit einbezogen wurden: denn solche sollten sie weiterhin bleiben, auch wenn aus der Küche ganz neue Töne zu vernehmen sein würden.

Die Verschmelzung von Stammwirtshaus und elaborierter Küche scheint, im Rückblick auf zwei aktive Jahre, gelungen: die Stammgäste kommen teilweise von weit her, sie sind aber auch neu dazugewonnen, aus erstem vorsichtigem Schnuppern regionaler Anrainer vom Schnitzerl und Rostbraten hin zum regelmäßigen viergängigen Menü überzeugt. Und genau das ist das Anliegen von Johannes Hell: das Vermeiden jeglicher elitären Anmutung, alle sollen hier ihren Platz finden – und sich auf persönliche Entdeckungen einlassen können.

Seine Küchenphilosophie ist geprägt von einer prägnanten, doch auch immer wieder verspielte Sprache; alle Gerichte sind Muster der Farbgebung: beim letzten Menü war auf allen Tellern der Frühling zu sehen, mit viel Grün, ein bisschen erdigen Noten sowie zarten Gelb- und Orangetönen. Ganz wirtshausmäßig ohne überflüssige Präliminarien wie Mehrfachgrüße aus der Küche fiel man in den ersten Gang, Farbton gelborange: warme Miesmuscheln auf Fenchelsalat in Safransud, dazu – rötlich – der mürbe marinierte Thunfisch, das Grün kam von den Erbsenschoten. Der Brotsalat mit Kaninchen spiegelte die Lage der noch wenig farbbelebten Felder draußen wider: eine hauchdünne Scheibe Ciabatta als Namensgeber, viel junger Salat mit Kräutern, breite Bohnen in feinen Scheibchen mit kräftigem Senfdressing; dazu ein feines Stück Rücken samt sämiger Bratenfondsauce und, als Krönung, eine in hauchfeine Fleischscheibchen gewickelte Kaninchenniere. Wärmendes Gelb wieder in der Kokoskarottensuppe, ein Beispiel für schwebende fruchtige Süße und sanfte Schärfe. Das Milchkalbbeuscherl vom Regionalteil der Karte war zartest, fein papriziert, mit reichlich Wurzelgemüsestreifen versehen, und von einem Minisemmelknöderl der flaumigen Art geziert. Der Zander leuchtete mit güldener Kruste, darunter verbarg sich saftiges Fleisch; Frühlingsfrische brachten die Bärlauchgnocchi, den erdigen Anteil Zitronenseitlinge in würziger, suppiger Sauce. Bei der Patisserie schlägt die geschulte Hochküchenhand durch, was da getürmt und geschichtet wird, ist eine Augenfreude; all das, was in den vorhergehenden Gängen so wohltuend ausgespart worden war, das darf jetzt sein, wie etwa im Dreierlei vom Kaffe, zelebriert in verschiedenen Cremen, Schäumen und Temperaturstufen als kalter Cappuccino, Eis und Latte macchiato.

Großes Anliegen sind dem Wirt und seiner Frau Alexandra auch die Weine: die Karte nimmt Stück für Stück zu, reicht von Österreich über rare Regionen wie Priorat, Marken und Kalabrien bis nach Neuseeland und ist von entwaffnend gastfreundlicher Kalkulation; um ausreichende glasweise Weinfreuden muss man auch nicht bangen. Die bereits nach so relativ kurzer Zeit spürbare Kontinuität ist auch den Damen vom Service, die seit Anfang dabei sind, zu verdanken; sie gehen mit ausgesprochen natürlicher Herzlichkeit bei unaufdringlicher Professionalität ihren Aufgaben nach.


Zum Meztgerwirt

Sonntag, 12. März 2006

"Le Beisl n'existe pas"

Dieser von Jacques Lacan am Wiener Flughafen im Beisein von Franz Schuh getane Ausruf kam mir dieser Tage in Erinnerung, als ich, in Wien weilend, ein Beisl-Erlebnis der unerwarteten Art hatte.

Die Freundin hatte als Gesprächsort das neue MAK-Restaurant auserkoren, wo Helmut Österreicher die Wiener Küche zum Mittelpunkt der Inszenierung machen will. "Inszenierung" verwende ich bewusst, weil ein solcher Ort niemals auch nur ansatzweise als Wirtshaus durchgehen kann, dazu ist er zu sehr Kulisse. Eine angenehme, gewiss, wie zuvor schon; der Platz im neuen, grün-poppigen Wintergarten ist auch an einem kühlen, windigen Märzschneetag warm und hell.

Die Erkenntnis des Tages: Das Beisl existiert: auf den Tellern. Die bewusste Verwendung von aus den Beisln schon längst entschwundenen Menütellern verliert ungewollt ihren inszenatorischen Charakter, wenn darauf nichts anderes zu liegen kommt als - schlichte Beislküche. Keine Neuinterpretation (war auch nicht angekündigt), kein höchstes Niveau (war angekündigt), sondern geradezu unverschämte Einfachheit. Unverschämt? fragen Sie, und ja, sage ich, denn der Mut, solche Speisen ohne Biss, Ausdruck, Geschmack dem erwartungsvollen Publikum ohne Scham zu servieren, kann wohlwollend nur mit unglaublicher Chuzpe beschrieben werden.

Die Linsen mit Speck und Spiegelei, lieblos auf den Teller geschöpft, erinnerten frappant an ähnliche Gerichte, die ich vor 25 Jahren bei zwei alten Damen in der Mollardgasse zu mir zu nehmen pflegte, deren Wirtshaus den großen Vorteil hatte, unsäglich billig zu sein. Das Paprikahendl war zäh, die Nockerl wässrig, der Kalbsnierenbraten bestand zur Hälfte aus Nierenfett, der Gemüsereis war aufgesprungen, also weit weg von jeglicher Körnigkeit, und absolut geschmacksneutral. Selbst das schon vielgepriesene Mayonnaiseei ließ trotz netter Gemüse drumherum den eigentlichen inventionalen Kick vermissen.

Systemküche war auch angekündigt worden im Voreröffnungspressegetümmel, und angesichts der beliebig auf den Tellern gelandeten Gerichte sah man geradezu vor sich, wie die Küchenmannschaft Fertigpackungen aufreißt und aufs Geschirr stülpt.

Ja, ich bin böse, spitzfindig, ich weiß. Ich bin verärgert. Ich bin verärgert, weil ich mich meiner Erwartungshaltung hingegeben habe. Ich bin verärgert, weil ich das, was ich gegessen habe, Helmut Österreicher nicht zuordnen kann und will. Und es drängt sich geradezu die Frage auf: gibt es in der Gastronomie Paarungen, bei denen das Zusammenspiel mehr ist als nur die Summe zweier Einzelteile? Wo bei Auflösung einer solchen Paarung beide Teile nur verlieren können?


Österreicher im MAK

Mittwoch, 4. Januar 2006

quellenhof leutasch

Leutasch ist in erster Linie Gegend und nicht Ortschaft. Wenige schmale Straßen verbinden die einzelnen Ortsteile, dazwischen breitet sich bergumrahmte Landschaft aus, flächig, geruhsam. Winterweiß oder sommergrün. Anreiz für die Gemächlicheren unter den Bewegungssuchenden, die Spaziergänger, die Wanderer, die Loipenläufer.

Der Quellenhof ist in erster Linie Wellnesshort und nicht Gourmetstätte. Dennoch wird die eindrucksvolle Saunalandschaft samt höchst lebendigem sonstigem Vitalbereich durch eine ehrgeizige, quasi rund um die Uhr verfügbare kulinarische Landschaft nicht nur sinnig ergänzt, sondern sinnlich überhöht - für hingebungsvoll durch die Lande pilgernde Menschen mit Affinität zu guten Küchen möglicherweise der wahre Besuchsgrund dieses überaus gastfreundlichen Hauses.

Der Küchenchef heißt Julius Polak, hat eine behaubte Vergangenheit und behauptet sich im fröhlich-quirligen Getriebe wellnessender Urlauber als Quell der Erbauung und Einsicht in essenswisserische Zusammenhänge. Sein Kochstil ist klar, präzise, schlackenfrei; die Komposition der einzelnen Gerichte lässt neben exzellenter Handfertigkeit auch sprühenden Intellekt vermuten.

Die Menüs vollziehen sich vorbildlich in einem inneren Zusammenhalt, die weltoffene Haltung mündet keineswegs in beliebigem Allerlei. Was jeweils auf den Teller kommt, definiert sich durch Notwendigkeit, nicht durch dekorativen Überfluss. Das gilt auch für Würzung, für Saucen, für all das, was Background und Stütze eines Gerichtes ist: Zurückhaltung, Komplexität, Treffsicherheit. Können eben.

Die klassische Variante eines Menüs (vielleicht nicht eines der ganz täglichen Pensionsmenüs, die aus vier Gängen bestehen, aber auch wieder nicht ganz weit abweichend) könnte so aussehen:
- Tatare vom Kalb, sehr puristisch, ohne innewohnenden Firlefanz, dazu Pilzwürfel zart mariniert mit einem Hauch von Teigblatt, Zwiebel-Rotweinconfit.
- Fischsuppe, tomatig-cremig, mit Fenchel und Rouille (Mut zu Knoblauch!)
- Gänseleber gebraten, Apfel, fruchtige Sauce. Klassischer geht’s nicht.
- Taube (in ihrer Erscheinungsform als rosa gebratene Brust), Haxlragout, Selleriepüree. Das Ragout als einziges komplexeres Verbindungsmoment zwischen zwei sehr puren Geschmackserlebnissen.
- Passionsfruchtcreme in einer Schokoladenrolle, dazu Sesameis: erst die Verschmelzung am Gaumen bringt den Sinnzusammenhang dieses Gerichtes hervor.

Die Vinothek des Quellenhofes, vornehmlich österreichlastig, ist persönliches Anliegen des Hausherrn und erfreut nicht nur durch Auswahl, sondern auch sanfte Kalkulation. Damit qualifiziert sie sich als Quell für anhaltendes Wohligkeitsbefinden .... oder: Chardonnay Exklusiv von Pfaffl. Cupido 2000 von Johann Heinrich. Mariental 2002 von Ernst Triebaumer. Riesling Steinertal 2003 von FX Pichler.

Drumherum und Darüberhinaus: Entspannter, fröhlicher, schlagfertiger Service. Umfassendes Frühstücksbuffet für alle Nöte und Gelüste. Mittagssuppenbuffet. Nachmittagskuchenbuffet. Ein Gutteil der Produkte aus umliegenden bäuerlichen Betrieben. Und überhaupt ein Ort zur stetigen Wiederkehr.

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karrri - 2014-06-24 12:18
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uferlos - 2011-10-08 00:28
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ConAlma - 2011-10-07 11:40
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rinpotsche - 2011-10-07 00:37
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books and more - 2011-10-07 00:30
sang und klanglos :-(
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profiler1 - 2011-10-06 21:55
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